"Gentrifizierung ist ein positiver Begriff": Andreas Wilckes Film über das Berliner Baumonopoly

Kräne, die sich wie im Ballett drehen. Ein sichtbares Zeichen für den Berliner Bauboom. | Foto: Andreas Wilcke
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  • Kräne, die sich wie im Ballett drehen. Ein sichtbares Zeichen für den Berliner Bauboom.
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Friedrichshain. Der Herr vor seinem Beamer ist begeistert. Wer in diesem Haus eine Wohnung kaufe, könne sich sehr schnell einer Rendite im hohen Prozentbereich sicher sein. Am besten dadurch, dass er sie saniere und danach entsprechend teuer vermiete.

Gefallen sind diese Sätze bei der Präsentation eines Berliner Immobilieninvestors. Die Veranstaltung ist eine von vielen Schlüsselszenen in dem Film "Die Stadt als Beute" von Andreas Wilcke, der am 1. September im Freiluftkino Kreuzberg im Bethanien-Garten am Mariannenplatz seine Berliner Premiere erlebt.

5 Jahre Arbeit am Film

Fünf Jahre hat der 41-jährige Friedrichshainer Filmemacher an diesem Werk gearbeitet und das Monopoly auf dem Berliner Immobilienmarkt beleuchtet. Es geht um Makler, die über die Preise für eine Wohnung oder gleich einen ganzen Gebäudekomplex nur lachen können. Mieter, die mit oft rabiaten Methoden aus ihren vier Wänden verdrängt werden. Menschen aus dem Ausland, die ihr Erspartes in einem Appartement in Berlin anlegen wollen. Eine Protestgemeinde, die in vielen Kiezen mobil macht. Politiker, wie der Ex-Regierende Klaus Wowereit (SPD), der die rege Bautätigkeit als Zeichen neuer Berliner Dynamik jenseits der bisherigen "Käseglocke" bewertete, oder sein Nachfolger Michael Müller (SPD), der einige Jahre später beteuert, bezahlbares Wohnen in der Innenstadt werde auch weiter möglich sein. Auch wenn er eher wortkarg bleibt, wie das gewährleistet werden kann.

Zwischen all diesen Sichtweisen bewegen sich Baukräne wie im Ballett, hantieren Handwerker in bisher unsanierten Objekten, fallen Hausmauern und rücken Bagger an.

Bewusst ohne Drehbuch

Der Film zeigt das alles ohne Zwischenkommentar. Es sprechen nur die Bilder und die Aussagen der Protagonisten. Er sei die Arbeit ganz bewusst ohne Drehbuch und festes Konzept angegangen, sagt Andreas Wilcke. Mit einer geliehenen Kamera, einem Stativ und später einer Funkstrecke ist er losmarschiert, "in der Hoffnung, dass der Film mir irgendwann einmal zeigen wird, wo er hin will."

Dabei ist es nicht so, dass Andreas Wilcke zu dem Thema keine Meinung hat. Schon der Filmtitel deutet darauf hin. "Wer wie ich im Boxhagener Kiez wohnt, bekommt die Veränderungen seit Jahren ganz sichtbar mit." Lange Zeit sei Berlin von ihrer Branche eher mit spitzen Fingern angefasst worden, hätten ihm einige Makler klar gemacht. Erst Mitte der 2000er-Jahre habe sich das geändert. Neben dem "arm, aber sexy"-Stempel jener Zeit sei vor allem der Verkauf der einstmals landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft GSW im Jahr 2004 eine Art Initialzündung gewesen. Damals bewerkstelligt vom rot-roten Senat. Der hätte die Konsequenzen nicht erkannt oder wollten sie nicht erkennen.

Interessant und teilweise erstaunlich ist, wie nah er gerade den Vertretern des Immobliengewerbes gekommen ist und wie offen und handfest dort argumentiert wird. Da fallen Sätze wie "Muss ein Hartz IV-Empfänger am Potsdamer Platz wohnen?", und es wird darüber sinniert, welche Unterschiede das Werfen eines Steins oder von Kekskrümeln ins Wasser verursacht. Die Gebäckpartikel stehen dabei für die lange und sich jetzt auflösende Bevölkerungszusammensetzung, mit Menschen unterschiedlichstem Einkommen in vielen Kiezen. Das ändere sich nun zugunsten des Steins. Will heißen: Im Zentrum werden nur noch Bewohner leben, die sich diese Gegend leisten können. Die anderen würden in die Außenbezirke abwandern. Das sei in allen Metropolen so, Berlin habe da auf Grund seiner Geschichte eben noch Nachholbedarf.

Dynamik und Wandel

Auch, was das Preisniveau betrifft. Und mit einer Fortsetzung der Hausse und damit üppigen Renditen sei auch in den kommenden Jahren zu rechnen, machen die Immobilienexperten immer wieder deutlich.

Das alles wird als völlig normaler Vorgang in einer globalisierten Welt bewertet. Was es brauche, sei Dynamik und Wandel. "Gentrifizierung ist eigentlich ein positiver Begriff", ist eine weitere Aussage, die das auf den Punkt bringt.

Demgegenüber wird dann der Rentner gezeigt, der bei 1000 Euro Altersruhegeld inzwischen 700 Euro für seine Miete aufbringen muss. Und manchmal werden Menschen, die nicht weichen wollen, mit mehr oder weniger sanftem Druck dazu genötigt. Das reicht von Auszugsprämien, kann aber auch in Schikanen enden, wie abgestelltes Wasser oder einer Hauswand, die direkt vor das Küchenfenster gesetzt wird.

Dass sich die Immobilienwirtschaft auf das Eldorado Berlin gestürzt habe, wäre aus deren Sicht sogar nachvollziehbar, meint Andreas Wilcke. Denn die Politik habe es ihr leicht gemacht. Als Ergebnis stehe, dass sich Berlin nicht schleichend wie andere europäische Städte, sondern in atemberaubendem Tempo verändere. Und das sollte der Rhythmus des Films widerspiegeln.

Wilcke hat in den vergangenen Jahren viel Zeit, Geld und Herzblut in das über weite Strecken Ein-Mann-Vorhaben gesteckt. Am Ende hatte er Material für rund 200 Stunden. 84 Minuten davon sind in dem Werk zu sehen.

Die Berlin-Premiere am 1. September im Freiluftkino Kreuzberg beginnt um 20 Uhr. Ab 8. September läuft "Die Stadt als Beute" in 16 Berliner Filmtheatern, am 12. September, 19 Uhr, außerdem in der Urania. tf

Alle Termine und Aufführungsorte sowie Szenen aus dem Film finden sich auf der Website: www.diestadtalsbeute.com.
Autor:

Thomas Frey aus Friedrichshain

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