Veto gegen sieben Hochhäuser
Rechtsgutachten stellt "Urbane Mitte" am Gleisdreieckpark infrage

Der Rand des Gleisdreieckparks ist bereits stark bebaut. Jetzt sollen sieben Bürotürme hinzukommen.   | Foto:  Ulrike Kiefert
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Am Gleisdreieckpark will ein Privatinvestor sieben Bürohochhäuser bauen. Gegen das Mammutprojekt „Urbane Mitte“ wehren sich Bürgergruppen schon seit Jahren. Jetzt halten sie mit einem Rechtsgutachten dagegen.

Für Rechtsanwalt Philipp Schulte ist das Ergebnis des Gutachtens eindeutig. „Das Planverfahren ist gescheitert und muss eingestellt werden.“ Das Normenkontrollgericht würde den Bebauungsplan absehbar für unwirksam erklären.

Worum es geht, ist eines der umstrittensten Bauprojekte in Berlin. Sieben Hochhäuser sollen im Rahmen des Projekts „Urbane Mitte“ am Rand des Gleisdreieckparks in Höhe des Technikmuseums gebaut werden. In den Hochhäusern, zwei von ihnen sind mit 90 Metern Höhe geplant, sollen Flächen für Sport, Kunst und Kultur, vorrangig aber für Büros entstehen. Neuer und vor allem bezahlbarer Wohnraum findet sich in der Vision des Investors hingegen nicht. Auch deshalb macht die Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck seit Jahren mobil gegen das Großprojekt. Das Bündnis warnt vor der Zerstörung des Parks als Erholungsort, vor Verschattung durch die extrem hohe Baumasse, vor mehr Verkehr und Kommerz und bemängelt fehlende Klimaschutzmaßnahmen.

Eine Baugenehmigung hat das Projekt bisher nicht. Die Planung für den nördlichen Bauabschnitt verzögert sich wegen Unklarheiten über den Verlauf der neuen City-S-Bahn (S21), und der Bebauungsplan für den kleineren südlichen Bauabschnitt wird vom Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg erarbeitet. Bei der Anhörung im Stadtentwicklungsausschuss im April 2021 trugen zwölf lokale Initiativen ihre Einwände vor. Die Argumente waren so gewichtig, dass der Bebauungsplan bis heute nicht beschlossen ist.

Laut Gutachten kann die BVV den Bau der Hochhäuser verweigern. | Foto: Ulrike Kiefert
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Land und Bezirk wissen, dass die Pläne für den Park äußerst unbeliebt sind. Doch der Senat fürchtet sich vor Entschädigungszahlungen, die bei Stopp oder Änderungen der alten Pläne fällig würden. 100 Millionen Euro müssten dann der Bahn-Tochter Vivico Real Estate aufgrund des städtebaulichen Rahmenvertrags von 2005 gezahlt werden. So argumentieren jedenfalls Senat und Bezirk. Dem widerspricht nun das Rechtsgutachten von Philipp Schulte, den die Aktionsgemeinschaft und die Naturfreunde Berlin damit beauftragt hatten. „Der städtebauliche Rahmenvertrag zum Gleisdreieck von 2005 verpflichtet den Bezirk nicht dazu, die Planungen zum Bauprojekt Urbane Mitte voranzutreiben“, heißt es im Ergebnis. Auch die angeblich hohen Entschädigungssummen stünden dem Investor „unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu“. Somit könne die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) frei über den Bebauungsplan entscheiden, „ohne exorbitante Entschädigungszahlungen fürchten zu müssen“.

Denn laut Schulte verstößt der städtebauliche Vertrag von 2005 gegen wesentliche Rechtsprinzipien. Der Jurist argumentiert hierbei mit dem Baugesetzbuch, dem wichtigsten Gesetz des deutschen Bauplanungsrechts. Demzufolge sei eine Gemeinde vertraglich nicht dazu zu verpflichten, einen Bebauungsplan aufzustellen. Der Gesetzgeber wollte damit laut Schulte sicherstellen, dass die Parlamentarier frei von vertraglichen Bindungen über Bebauungspläne beraten und entscheiden können. „Genau dies wurde jedoch durch die Drohung mit Schadensersatz verhindert.“

Protestplakat der Aktionsgemeinschaft auf der Baufläche.  | Foto: Ulrike Kiefert
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Mit dem Ergebnis des Rechtsgutachtens ist für die Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck jetzt der Zeitpunkt gekommen, das B-Planverfahren zu stoppen und einen Neustart der Planungen einzuleiten. „Wir wünschen uns für die letzte Baufläche am Gleisdreieck öffentliche gemeinwohlorientierte Nutzungen, die Rücksicht nehmen auf die ökologischen Belange und die die historische Kulisse respektieren“, so Matthias Bauer. Die eigentliche „Urbane Mitte“ sei der Park selbst, wo viele Menschen unterschiedlichster Herkunft und Generationen friedlich aufeinander treffen würden. „Genau das passiert im Gleisdreieck, das in den letzten Jahren zu einer der beliebtesten Parkanlagen Berlins geworden ist.“ Für Uwe Hiksch von den Naturfreunden Berlin sind die Pläne für die „Urbane Mitte“ nicht mit einer „klimagerechten und nachhaltigen Stadtplanung“ vereinbar. „Die NaturFreunde werden sich aktiv dafür einsetzen, dass diese Planungen noch verhindert werden. Die Drohung der Investoren, dass sie bei einer Verhinderung des Projekts Schadenersatz in Millionenhöhe einfordern würden, sind eine Drohkulisse ohne rechtliche Substanz.“ Man erwarte vom Berliner Senat, dass die Planungen gestoppt werden.

Die Fraktion der Grünen hat in der August-Sitzung der Bezirksverordneten einen Dringlichkeitsantrag vorgelegt. Der fordert das Bezirksamt auf, das Rechtsgutachten zu prüfen. Im Anschluss sollen die Folgen für das B-Planverfahren geklärt werden.

Besagtes Grundstück am Gleisdreieckpark ging 2020 in einem Share-Deal nach Luxemburg. Es folgte die Umwandlung der „Urbanen Mitte Besitz GmbH“ in die „Urbane Mitte Besitz S.à.r.l.“. Die neuen Eigentümer bestehen seitdem auf Umsetzung der alten Pläne mit sieben Hochhäusern. Die bundeseigene Vivico Real Estate GmbH wiederum gehört seit Dezember 2007 der österreichischen CA Immo.

Autor:

Ulrike Kiefert aus Mitte

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