Erinnerung an Opfer der "Polenaktion"
Zwölf Stolpersteine für die Familie Merory
Die Familienmitglieder leben größtenteils in den USA, manche auch in Berlin. Sie kamen am 24. Juli zu zwei Adressen, an denen insgesamt zwölf Stolpersteine verlegt wurden. Einige der Verwandten sahen sich aus diesem Anlass zum ersten Mal.
Sie alle sind Nachkommen von Amalie und Isidor Merory. Beide waren Ende des 19. Jahrhunderts aus dem Gebiet des heutigen Polen nach Berlin eingewandert.
Isidor Merory starb 1926. Das Ehepaar hatte elf Kinder. Zwei starben schon im Säuglingsalter, eines fiel im Ersten Weltkrieg. Ein Sohn und eine Tochter emigrierten in den 1930er-Jahren in die USA. Die anderen, wie auch die Mutter, wurden Opfer des Holocaust beziehungsweise bereits zuvor der sogenannten "Polenaktion".
Mit diesem bisher eher wenig untersuchten Kapitel in der Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung hat sich jetzt ein Forschungsprojekt der Freien Universität Berlin zusammen mit dem Verein "Aktives Museum" intensiv beschäftigt. Unter anderem wurden zahlreiche Familienbiografien recherchiert. Eine davon war die der Merorys. Auch die Initiative für die Stolpersteine ging von diesem Projekt aus.
Im Oktober 1938 wurden im Deutschen Reich rund 16 000 Jüdinnen und Juden mit polnischer Staatsangehörigkeit verhaftet und ausgewiesen. Etwa 1500 waren es in Berlin. Polen wollte sie nicht aufnehmen, die meisten strandeten in einem Flüchtlingslager an der Grenze. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht im September 1939 führte der Weg für viele in die Ghettos und Vernichtungslager. Andere flohen in den fast gleichzeitig von der Sowjetunion besetzten östlichen Teil Polens. So auch die drei Merory-Brüder Martin, Josef und Siegfried Fritz. Dort verliert sich ihre Spur. Was mit ihnen passierte, ist bis heute ungeklärt. Das letzte Lebenszeichen von Martin Merory war eine Postkarte, die er 1941 an seine Frau Ella schrieb. Das Ehepaar lebte mit seinen Töchtern Liselotte, Margarete und Eva in der Friedrichstraße 2. Für die Familie wurden am 24. Juli fünf Stolpersteine an diesem Ort gesetzt.
Die Eltern waren Schauspieler. Martin Merory gehörte in den 20er-Jahren zum Ensemble des Theaters am Nollendorfplatz. Eine Bühne, die, unter Leitung des Regisseurs Erwin Piscator, ein Zentrum der künstlerischen Moderne war. Ella Merory war Nicht-Jüdin. Ihre Mädchen galten im Nazijargon als "jüdische Mischlinge" und waren im Oktober 1943 einige Wochen im Konzentrationslager Sachsenhausen inhaftiert. Die Mutter konnte ihre Freilassung erreichen. Danach mussten die Kinder Zwangsarbeit im Wehrwirtschaftsbetrieb Robert Karst & Co an der Alexandrinenstraße leisten.
Der Betrieb wurde ebenso wie die Wohnung beim großen Bombenangriff vom 3. Februar 1945 zerstört. Danach flohen die vier Frauen nach Bayern, wo sie das Kriegsende erlebten. Ella Merory starb dort 1959, ihre Töchter wanderten in die Vereinigten Staaten aus.
Weitere sieben Stolpersteine waren zuvor vor dem Haus Yorckstraße 74 angebracht worden. Sie erinnern an Amalie Merory, ihre beiden rechtzeitig emigrierten Kinder Hildegard und Herbert und an die in Polen verschollenen Josef und Siegbert Fritz. Außerdem an die Töchter Rosa und Sophie. Beide wurden zusammen mit ihrer Mutter 1942 nach Riga deportiert und dort ermordet. Ein weiterer Sohn, Walter, starb ebenfalls 1942 nach einem dreijährigen Leidensweg durch mehrere Konzentrationslager in der Tötungsanstalt Hartheim. Für ihn gibt es bereits in Steglitz einen Stolperstein.
Zwölf Menschen, an die jetzt wenigstens sichtbar erinnert wird. Die Familie Merory ist außerdem Teil einer Ausstellung zur "Polenaktion", die bis 30. Dezember im Centrum Judaicum in der Oranienburger Straße 28-30 in Mitte zu sehen ist. Auch sie entstand im Rahmen des Forschungsprojekts. Öffnungszeiten: montags bis freitags, 10 bis 18, sonntags, 10 bis 19 Uhr; ab Oktober sonntags bis donnerstags, 10 bis 18, freitags, 10 bis 15 Uhr. Eintritt sieben, ermäßigt 4,50 Euro.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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