"Eigentlich ganz nett": An der Wilhelmstraße zieht sich ein „Gemälde“ über 16 Etagen
Kreuzberg. Als reine Schmiererei ist das Werk wohl nicht abzutun. Ob es sich um Kunst handelt, ist wiederum eine Geschmacksfrage. Spannender ist aber, wie es überhaupt entstanden ist und was mit ihm passiert.
Die Rede ist von einem Graffito, das sich über die 16 Stockwerke des Hochhauses Wilhelmstraße 3 zieht. Es befindet sich an der Rückfront des Gebäudes an der Friedrich-Stampfer-Straße. Von oben nach unten betrachtet besteht die Wandmalerei zunächst aus einer Art chinesischer Schriftzeichen. Sie gehen in Schlangenlinien über, die sich bis zum Erdgeschoss ziehen. Dazwischen finden sich einige Sprüche. „Lass den Kopf nicht hängen“, lautet einer.
Klar ist auf jeden Fall sehr schnell, dass es sich um keine Auftragsarbeit gehandelt hat. Vielmehr waren illegale Sprayer am Werk. Und nicht nur bei dem 16-Geschosser ist es immer wieder erstaunlich, wie sie es schaffen, auf diese Weise ihre Visitenkarten zu hinterlassen, ohne erwischt zu werden.
In diesem Fall waren die wahrscheinlich mehreren Mitglieder der Graffitiszene in der Nacht vom 30. zum 31. Juli tätig, wie eine Sprecherin der Hausverwaltung EB-Immobilien erzählt. Sie hätten sich, auf welche Weise auch immer, Zugang zum Haus verschafft und seien dann mit dem Aufzug in die oberste Etage gefahren. Dort befestigten sie ein Seil an einem Flurbalkon mit dessen Hilfe und mit Spraydosen bewaffnet sich zumindest einer entlang der Fassade nach unten hangelte und dabei die Hauswand verzierte.
Auch wenn hier sicher Profis unterwegs waren, muss die Aktion einige Zeit gedauert haben. Trotzdem scheint kein Bewohner oder Passant etwas bemerkt zu haben, oder es hat ihn nicht interessiert. Ein Phänomen, das häufig zu beobachten ist. Denn nicht nur viele Häuser, sondern auch Straßenbrücken, Fabrikhallen oder S-Bahnwaggons werden ja häufig Opfer solcher Graffitiattacken. Und je schwerer die Aufgabe, umso mehr werden die Verursacher zu Helden ihrer Communitiy. Das gilt wohl auch für die an der Wilhelmstraße 3.
Weniger originell findet naturgemäß auch hier die Hausverwaltung den Sprühangriff. „Wir haben Strafanzeige erstattet“, sagt die Sprecherin. Und in Kürze werde das Wandgemälde überstrichen.
Der Graffitischmuck sei das geringste Problem, das es in diesem Haus gebe, meint dagegen eine Mieterin. Lärm, Dreck im Hausflur oder Schimmel in ihrem Badezimmer würden sie viel mehr ärgern. „Darum sollte sich die Hausverwaltung lieber mal kümmern.“ Die Fassadenbemalung findet sie dagegen „eigentlich ganz nett.“ tf
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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