Versammlung zur Kriminalität am Kottbusser Tor ließ viele Fragen offen
Kreuzberg. Für Dr. Mark Terkessidis, Migrationsforscher und Autor, war es sehr schnell sehr schwer, sich überhaupt Gehör zu verschaffen. Denn er hatte vor einigen Wochen in einem Artikel die Probleme nicht nur am Kotti mit den Ereignissen der Silvesternacht in Köln verglichen.
Solche Bezüge galten aber bei einem Teil des Publikums als absolutes No-Go. "Hetzer" und "Rassist" musste sich Terkessidis daraufhin anhören.
So geschehen am 10. März bei einer Veranstaltung unter der Überschrift "Kippt der Kotti?" im Friedrichshain-Kreuzberg Museum in der Adalbertstraße.
Interesse der Anwohner war groß
Im Mittelpunkt stand die stark gestiegene Kriminalität, aber auch Verwahrlosung, Respekt- und Rücksichtslosigkeit und was dagegen unternommen werden kann. Dass diese Themen viele Menschen bewegen, zeigte bereits das Publikumsinteresse. Rund 150 Besucher drängten sich in den eigentlich viel zu kleinen Saal im Dachgeschoss. Weitere konnten die Veranstaltung per Direktübertragung eine Etage tiefer verfolgen.
Wie fast immer bei solchen Versammlungen in Kreuzberg war das eigentliche Problem häufig ein Aufhänger für Ausflüge in das große Ganze. Auf der anderen Seite galten manche Erklärungsversuche als vermintes Gelände, wie vor allem der Migrationsforscher erfahren musste.
Dabei schadete es nichts, die Dinge zunächst beim Namen zu nennen und die Fakten auf den Tisch zu legen. Und die lauten: Seit etwa einem Jahr hat sich die Gegend zu einem Verbrechensschwerpunkt entwickelt. Dabei geht es nicht nur um den Drogenhandel, der dort nie ganz zum Erliegen kam, inzwischen aber eine ganz andere Quantität und auch Brutalität erreicht hat. Dazu kommen Delikte wie Raubtaten auf Geschäfte, Schlägereien, Nötigung und insbesondere viele Taschendiebstähle.
KOB regelmäßig vor Ort?
Dass der Kotti ein riesiges Problem darstellt, gab auch Tanja Knapp, Leiterin des Polizeiabschnitts 53, unumwunden zu. Wie ihre Beamten versuchen, es zumindest einigermaßen in den Griff zu bekommen, stieß aber ebenfalls auf Kritik. Nach einem Überfall könne es bis zu einer Stunde dauern, ehe die Polizei erscheine, beklagte Richard Stein, Mitinhaber des Südblocks und von Möbel Olfe. Auf der anderen Seite würden die Einsatzkräfte manchmal gleich mit einer Hundertschaft anrücken. Irgendwie sei auch das nicht der richtige Weg. Am zielführendsten wären nach seiner Meinung immer noch ein regelmäßig anwesender Kontaktbereichsbeamter (KOB).
"Irgendwie" und "halt" waren häufig benutzte Füllwörter, mit denen Richard Stein seine Sätze garnierte. Sie bedeuteten in diesem Fall wohl mehr als nur eine sprachliche Marotte. Vielmehr verwiesen sie ins Ungefähre und stehen für den Zwiespalt, der auch im Publikum anklang. Auf der einen Seite soll die Polizei möglichst auf Distanz gehalten werden. Aber ganz ohne die Träger des staatlichen Gewaltmonopols geht es ebenfalls nicht. "Sie können nicht duschen, ohne nass zu werden", meinte Tanja Knapp.
Dass sich am Kotti etwas zusammenbraue, sei von Polizei und Politik lange nicht wirklich zur Kenntnis genommen worden, beklagte Ercan Yasaroglu, Sozialarbeiter und Besitzer des Kotti-Cafés. Und Angelika Levi von der Initiative Kotti & Co. sieht in der Verdrängung vieler Bewohner eine wichtige Ursache für die aktuelle Situation. Das sorge für Unsicherheiten und schwäche den Zusammenhalt.
Abschweifen zum großen Ganzen
An solche Aussagen knüpften dann viele Meinungsäußerungen und Theorien an – bis hin zu der Ansicht, vielleicht würden die Probleme bewusst ignoriert, um noch mehr Menschen zum Wegzug bewegen und deren Wohnungen dann teurer vermieten oder verkaufen zu können. Andere sahen die Touristen, die Verantwortung der Bundesrepublik für Fluchtgründe in vielen Teilen der Welt oder die Behandlung der Geflüchteten bei uns, festgemacht nicht nur am Stichwort Oranienplatz, als weitere Auslöser für die Probleme.
Wer keine Perspektive habe, der verlege sich eben auf Dealen oder Diebstahl, lautete dann die Schlussfolgerung. Und einige Wortbeiträge suggerierten auch, dass sie das ganze Kriminalitätsgerede für aufgebauscht halten. Nicht jeder werde hier Opfer eines Überfalls. Aber die Medien würden das so vermitteln. Die "Lügenpresse" in linksalternativer Version.
Es gab allerdings auch Stimmen, die wieder zum Kern des Problems zurückführten. Ein Gewerbetreibender mit sogenanntem Migrationshintergrund war noch immer aufgewühlt von einem Erlebnis vom Vortag. Er sei kurz nach dem Überfall auf eine schwangere Frau, die geschlagen und beraubt wurde, am Tatort gewesen, berichtet der Mann und unterlegt das mit Handyfotos. Das Opfer werde jetzt vielleicht sein Kind verlieren. Wer so etwas mache, sei ein Krimineller und das gelte ganz unabhängig davon, woher die Täter kommen. "Ich habe Lebensmittel und Kleidung für bestimmt 1000 Euro den Flüchtlingen am Oranienplatz gespendet", schiebt er noch nach, was ihn zumindest etwas immun gegen mögliche Rassismusvorwürfe machte.
Wie geht's jetzt weiter?
Und was war das Ergebnis des Abends? Wie geht es weiter? Tanja Knapp verwies auf ein Polizeikonzept bestehend aus vielen Bausteinen. Dazu gehörten Großeinsätze ebenso wie das Agieren von Zivilbeamten und eine regelmäßige Präsenz der KOBs. Einfließen würde auch vieles, was ihr bei Gesprächen mitgeteilt wurde.
Es brauche eine stärkere Kooperation von Land, Bezirk, Polizei und Anwohner, meinte Kulturstadträtin Jana Borkamp (Bündnis 90/Grüne). Dazu gehören auch mehr Unterstützung für Prävention und Sozialangebote. Und vor allem ein engeres Miteinander der Nachbarschaft, wie es früher der Fall gewesen sei.
Richard Stein und andere sind in dieser Richtung bereits aktiv: Sie organisieren seit 15 Wochen jeden Freitagabend Spaziergänge durch den Kiez. Auch das sorge für Zusammenhalt und den Austausch unterschiedlicher Meinungen. Nicht irgendwie, sondern ganz konkret. tf
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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