Stadtspaziergang
Auf Erkundungstour an der Yorckstraße
Zu meiner 229. monatlichen Tour lade ich Sie im neuen, dem 21. Jahr der Berliner Woche-Führung, an die Yorckstraße ein. Dort geht es gleich mächtig gewaltig los! Schon vom Rathaus gegenüber hat man sofort zwei riesige nackige, schwere Kerle auf der anderen Straßenseite im Blick – über dem offenen Hofdurchgang der reichgeschmückten Hausfassade.
Immerhin kann man darunter unbeschadet durchlaufen, sind die beiden doch schon seit Lange nur damit befasst, einem geduldigen Löwen den Kopf zu kraulen. Aber vor allem halten sie mit starken Schultern, gebeugten Nacken den untersten jener drei breiten Mittelbalkone, die dem klassizistischen Palais in der Straßenfront beinahe die Anmutung eines Schlosses geben. Seit den alten Griechen heißen solche Gebälkträger, die sogar den Weltkreis trugen, „Atlanten“ und man kann sicher sein, dass überall dort, wo jene auch immer ihr Werk tun, Höheres im Sinn stand.
Die Wohnanlage „Riehmers Hofgarten“, erbaut in frühen 1890er-Jahren, war von Anfang an als etwas Größeres, Mächtigeres gedacht. Ihr Schöpfer, der Maurermeister und Architekt Wilhelm Riemer, war zur Gründerzeit rund um die Belle-Alliance-Straße, heute Mehringdamm, mit dem Bau und der Vermietung von Häusern reich geworden. Aber schnöde Mietskasernen gab es damals in Berlin schon viele Tausende. Damit konnte man Geld verdienen, besonderen Ruhm erntete man allerdings nicht. Galten doch die Hinterhöfe weithin als Brutstätten des Wohnungselends. Und so kam Riemer auf die Idee, nahe dem Kreuzberg mit Denkmal und der Hanglage des Viktoriaparks ein Wohnangebot für den gehobenen Mittelstand zu machen. Abweichend von der festgelegten Bauordnung des Hobrecht-Plans von 1862, schaffte er es, aus 27 Einzelgrundstücken an Yorck-, Großbeeren- und Hagelbergstraße im großzügigen Blockinneren hinter reichgeschmückten Fassaden und mit begrünten Hofflächen durchgängig standesgemäße bürgerliche Mietwohnungen anzuordnen, für die sich auch die Offiziere naher Regimenter interessieren würden.
Etwa jene der im Kasernenbau von 1855 und noch bis 1919 stationierten Garde-Dragoner. Da hatte schon „Kleinwohnungsbau“ begonnen, der das Prinzip heller gesunder Wohnungen auch für breitere Bevölkerungskreise möglich machte. Wussten Sie, dass ganz nah die 20er-Jahre-Reform-Gartenstadt „Neu Tempelhof“ entstand? Jetzt wird im alten Dragonerareal gebaut!
Nahe der Manövergegend „Tempelhofer Feld“ ist der alte Weinberg schon seit 200 Jahren mit dem Kreuzberg-Monument Preußens Ort des Ruhms. Eine der zwölf eisernen „Genien“-Figuren dort oben zeigt Graf Yorck von Wartenberg, nach Blücher wohl wichtigster preußischer Feldherr der Zeit. Am 30. Dezember 1812 hatte Yorck, Kommandeur des Preußischen Hilfskorps für den Napoleonischen Russlandfeldzug, auf Drängen des preußischen Militärreformers Carl von Clausewitz mit dem russischen General Diebitsch eigenmächtig die „Konvention von Tauroggen“ abgeschlossen, jenen Waffenstillstand, der schließlich in die Befreiungskriege mündete.
Eine Zeitenwende, mit der Preußens Hauptstadt schnell wuchs. So planten Schinkel und Lenne, die Berliner Stadtgrenze ringsum mit Grün- und Grenzzügen kilometerweit bis in die Dorffluren zu verlagern. Der Kanalisations-Ingenieur James Hobrecht machte später Nägel mit Köpfen und veröffentlichte 1862 mit Genehmigung König Wilhelms seinen Bebauungsplan, der Ringstraßen um Berlin wie Charlottenburg, dazu die Kanalisation samt Rieselfeldern weit außerhalb festlegte. Drinnen im Stadtgebiet wurde das bis heute prägende großzügige Straßenraster festgeschrieben.
Nach dem Krieg 1870/71 ist das Kreuzberg-Denkmal mit unterkellertem Sockel um acht Meter erhöht und zur Stadtseite nach Norden gedreht worden. Der damalige Stadtgartenbaudirektor Hermann Mächtig erneuerte den Victoriapark und schuf auch jenen künstlichen Wasserfall, der mit Pumpenhilfe, nur gebremst von vielen eingebauten größeren und kleineren Findlingen, 27 Meter tief bis zum Becken vor Großbeeren- und Kreuzbergstraße hinunterstürzt. Sein Vorbild soll der heutige Steinbach-Wasserfall (polnisch: Wodospad Kamieńczyka) an der Nordwestseite der polnischen Sudeten gewesen sein, der einst als Zackelfall im Riesengebirge bekannt geworden ist, ganzjährig Wasser führt, im Frühjahr besonders gewaltig strömen soll.
In Riehmers Hofgarten findet sich eine Berliner Gedenktafel. Sie erinnert am Haus Hagelberger Straße 10c an Jurek Becker, Drehbuchautor und Schriftsteller, der dort von 1980 bis 1994 wohnte (geboren wohl 1937 im Ghetto Łódź, verstorben 1997 in Sieseby in Schleswig- Holstein). Er schrieb für die Defa neben vielen anderen Texten 1968 ein Filmdrehbuch „Jakob der Lügner“, das abgelehnt und, zum Roman umgearbeitet, 1969 in der DDR bei Aufbau erschien. Erst Jahre später, 1974, wurde der Film gedreht, war dann als einziger DDR-Film zur Oscar-Auszeichnung als bester fremdsprachiger Film eingereicht. Geehrt mit DDR-Literaturpreisen bis zum Nationalpreis, bestraft wegen Unbotmäßigkeit mit Parteiausschluss und Ausschluss aus dem Schriftstellerverband, zog Becker mit Dauervisa nach Westberlin, verlegte seine Bücher in Verlagen beider deutscher Staaten und verfasste auch serienweise die Drehbücher von „Liebling Kreuzberg“ für seinen langjährigen Freund Manfred Krug.
Draußen verläuft die Yorckstraße als Teil der längsten Berliner Straße. Stadtplaner Hobrecht hatte 1862 die äußeren Ringstraßen als Gürtelstraßen bezeichnet, aber schon 1864 sind die im Süden, von Charlottenburg bis Kreuzberg nach den Generälen der Befreiungskriege benannt worden, bis heute „Der Generalszug“. Einige Teilstücke damals offiziell benannter Gürtelstraßen haben im Nordosten an Stadtteil- wie Bezirksgrenzen überlebt – in Prenzlauer Berg und Weißensee, in Friedrichshain und Lichtenberg, auch wenn vor Hohenschönhausen die breiteste Gürtelstraße des Nordostens wiederholt in Weißenseer Weg benannt worden ist. Natürlich gibt es selbst in der nahen Yorckstraßen-Umgebung noch manches andere zu vermelden, das in der Größe durchaus mitreden kann, sei es die Kinokette Yorck samt Neu-York, die Kirche St. Bonifatius, katholisch, oder auch das fast 75-jährige und mehr als zehngeschossige Kreuzberg-Rathaus, seit Jahrhundertbeginn im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg.
Der Stadtspaziergang startet am Sonnabend, 11. Januar, um 11 Uhr. Treffpunkt ist am Rathaus Kreuzberg, Yorckstraße 4, zu erreichen mit der U6 und U7 bis U-Bahnhof Mehringdamm.
Die Führung am 7. Dezember ist für Leser der Berliner Woche und des Spandauer Volksblatts kostenlos. Allerdings ist eine Anmeldung erforderlich: Am Montag, 2. Dezember, in der Zeit von 10 bis 12 Uhr anrufen unter Tel. 887 27 73 07.
Die Tour wiederhole ich am Sonnabend, 25. Januar, um 14 Uhr. Die Teilnahme kostet dann aber neun, ermäßigt sieben Euro. Telefonische Anmeldung dafür unter Tel. 442 32 31.
Autor:Bernd S. Meyer aus Mitte |
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