Berlinische Galerie eröffnet mit Ausstellung über 60er-Jahre-Architektur

Wohnen, fast wie im Urlaub. Auch solche Pläne gab es in den 60er Jahren. | Foto: Copyright: Dieter Urbach/Berlinische Galerie
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  • Wohnen, fast wie im Urlaub. Auch solche Pläne gab es in den 60er Jahren.
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Kreuzberg. In Mode, Musik oder Film gelten die 1960er-Jahre als spannend und wegweisend. Anders sieht es mit der Architektur aus. Sie wird häufig als abweisend, monoton und teilweise als Irrweg kritisiert. Dass dieses Urteil zu kurz greift will die Berlinische Galerie jetzt mit ihrer Ausstellung "Radikal Modern" aufzeigen.

Sie konzentriert sich auf verwirklichte und geplante Bauvorhaben im geteilten Berlin. Mit dieser Schau als Herzstück feierte das Haus an der Alten Jakobstraße nach knapp einjähriger Pause Wiedereröffnung. Für sechs Millionen Euro wurde eine neue Brandschutzanlage eingebaut und parallel dazu die Beleuchtung erneuert. Dazu passt dann auch der Anspruch, die Architektur der 60er in ein anderes Licht zu setzen. Sie habe zu Unrecht ihren schlechten Ruf, fand Museumsdirektor Thomas Köhler. Außer Acht gelassen werden nicht nur die Voraussetzungen, sondern auch, wie sehr sie die Stadt bis heute präge.

Das wird beim Gang durch die Ausstellung schnell deutlich. Ob die neue Gedächtniskirche und das Europa-Center im West- oder der Fernsehturm im Ostteil: Viele der markanten Gebäude stammen aus dieser Epoche. Ohnehin, das ist eine These der Schau, habe es in Sachen Architektur wenig Unterschiede zwischen den Stadthälften gegeben. Eher fand hier ein Wettlauf der Systeme statt. Hier wie dort wollte man hoch hinaus, dominierten Glas, Stahl und Beton, kursierten, häufig nur in Entwürfen, viele futuristische Ideen.

Allerdings standen solche Vorgaben immer unter dem Verdikt der Ausgangslage. Die hieß bis in den 60er hinein vor allem fehlende Wohnungen als Folge der Kriegszerstörungen. So entstanden Hochhaussiedlungen, wie Gropiusstadt, Märkisches Viertel, oder das Quartier rund um den Leninplatz, den heutigen Platz der Vereinten Nationen in Friedrichshain. Gerade sie haben bis heute viel zum negativen Stigma der 60er-Jahre-Architektur beigetragen.

Auch das sei nicht immer gerecht, meint Kuratorin Ursula Müller. Schon gar nicht auf die damalige Zeit bezogen. Wer dort einzog, habe zunächst einmal den Komfort genossen. Viele Mieter lebten zuvor in Wohnungen mit Außenklo und ohne Bad.

Ohnehin standen die 60er für einen weitgehend unkritischen Blick auf die technischen Möglichkeiten. Es war das Jahrzehnt als der Weltraum erobert und das erste Herz verpflanzt wurde. Im Alltag drückte sich das nicht nur durch bequemere Wohnungen, sondern auch das Auto als neues Statussymbol aus. Fahrzeuggerecht sollte die Stadt sein. Was sich etwa in aus heutiger Sicht irrwitzigen Autobahnplänen durch Kreuzberg niederschlug. Daran erinnert die Ausstellung mit einer Skizze des geplanten Schnellstraßenkreuzes am Oranienplatz. Noch skurriler wird dieses Vorhaben, wenn man sich daran erinnert, dass die Autobahn in Richtung Norden nur wenige Meter entfernt erst einmal an der Mauer geendet hätte.

Gewöhnungsbedürftig ist auch die Idee, die Georg Kohlmaier in den 60er Jahren am Kurfürstendamm hatte. Er wollte dort Laufbänder einrichten. Riesige Röhren hätten sich entlang des Boulevards gezogen. Kohlmaier ist auch mehr als 40 Jahre später von seiner Vision überzeugt. Er hoffe, dass es irgendwann einmal umgesetzt werde, meinte er als Gast bei der Ausstellungspräsentation.

Sein Beispiel zeigt aber ganz gut, worauf es den Ausstellungsmachern vor allem ankam: die 60er-Jahre als eine weniger monotone, sondern vielmehr sehr experimentelle Phase der Architekturgeschichte darzustellen und darüber zu Diskussionen anzuregen. Das wird ihnen sicher gelingen, schon weil es inzwischen immer mehr darum geht, welchen Stellenwert viele Bauwerke aus dieser Zeit heute haben. Reif für die Abrissbirne oder würdig für den Denkmalschutz - zwischen diesen Polen verlaufen manche Debatten.

Vier Ausstellungen

Anlässlich ihrer Wiedereröffnung präsentiert die Berlinische Galerie, Alte Jakobstraße 124-128, drei neue sowie eine erweiterte Ausstellung. "Radikal Modern" wird bis 26. Oktober gezeigt. Jeweils bis 24. August sind die Installationen "Mare Lunaris" von Björn Dahlem sowie Werke des Malers Bernhard Martin zu sehen. Ergänzt wurde die Dauerausstellung "Kunst in Berlin 1880-1980". Geöffnet ist täglich außer Dienstag 10 bis 18 Uhr. Eintritt kostet acht, ermäßigt fünf, jeden ersten Montag im Monat vier Euro, bis 18 Jahre frei. Zu "Radikal Modern" gibt es eine Begleitprogramm mit Führungen, Workshops und Angeboten für Schüler. Infos auf www.berlinischegalerie.de.

Thomas Frey / tf
Autor:

Thomas Frey aus Friedrichshain

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