Besuch bei den Jüngern Gutenbergs: "Corvinus Presse" in der Wiener Straße
Kreuzberg. Mitten in der quirligen Großstadt öffnen sich plötzlich die Tore zu einer kleinen Oase. Der Innenhof der Wiener Straße 17 hat nichts mit dem Lärm vor dem Haus zu tun.
Vorn stehen die Häuser aus der Gründerzeit, im Innenhof ein Fachwerkhaus mit großen Scheunentoren. In der Werkstatt ein typischer Geruch nach Farbe, Verdünnungsmitteln, Papier und Holz. Bis unter die hohe Decke reihen sich Regalschränke mit Schubfächern. Große, alte und schwere Maschinen stehen auf dem Boden. „Das Haus gab es schon, als hier noch nichts weiter stand“, erklärte Hendrik Liersch. Es war einmal eine Kupferschmiede. Mit Kupfer arbeiten die drei Leute in der Werkstatt auch heute noch. Es ist eine Druckerei, wie zu Zeiten des Erfinders des Buchdrucks mit beweglichen Lettern Johannes Gensfleisch – genannt Gutenberg (1400-1468).
Hendrik Liersch arbeitet mit den beiden anderen Druckern noch so wie vor dem Computerzeitalter. Die Buchstaben werden noch in Blei gegossen, nichts kommt aus einer Schablone. Die Formate und das Papier entsprechen keinen gängigen Standards. Mit seiner Firma "Corvinus Presse" feiert Hendrik Liersch in diesem Jahr sein 25-jähriges Jubiläum. Dabei hat er gar nicht die Kunst des Buchdrucks erlernt. „Ich habe in Mahlsdorf den Beruf des Möbeltischlers gelernt“, erzählt der heutige Buchdrucker. Doch mit der Wende sah er eine Chance, ganz was Neues anzufangen. „Ich hatte immer Interesse an Kunst und Literatur“, sagte Hendrik Liersch und so nutze er 1990 die Chance und gründete seinen eigenen Verlag. Sein historisches Vorbild war der jüdische Drucker Viktor Otto Stomps, der in den 30er-Jahren in Mainz seine „Rabenpresse“ hatte, dann aber von den Nationalsozialisten unterdrückt wurde und nicht mehr arbeiten durfte. „Corvinus ist die lateinische Bezeichnung für Rabe“, erläutert der Drucker. Liersch ist stolz darauf, dass er vor sechs Jahren für seine buchkünstlerischen Leistungen den V.O. Stomps Preis 2009 der Stadt Main erhalten hat.
Doch bis zur Werkstatt in Kreuzberg war es für Hendrik Liersch ein langer Weg. Zunächst hat er bei Freunden in Halle gedruckt, dann ging es in die Admiralsstraße in Kreuzberg. „Dort hat auch Stomps von 1967 bis 1970 mit seiner ‚neuen Rabenpresse’ gedruckt“, so stellt Hendrik Liersch wieder die Beziehungen zu seinem Vorbild her.
Seit 15 Jahren arbeitet er nun in der Werkstatt in der Wiener Straße 17 gemeinsam mit Harald Weller und Dieter Bela. In dem Vierteljahrhundert sind rund 300 Bücher entstanden. Dabei arbeitet Liersch eng mit Malern, Grafikern und Dichtern zusammen. So entstehen kleine Meisterwerke der Buchdruckkunst. Dabei sind auch ganz ausgefallene Werke, die selbstverständlich nur in kleiner Auflage erscheinen. Da haben Dichter noch ein Gedicht mit Handschrift eingetragen oder Maler haben jedes Bild mit der Hand signiert. Liersch ist zu Recht stolz darauf, dass seine Werke der Buchdruckkunst in 70 Universitätsbibliotheken auf der ganzen Welt stehen. Dazu gehören die nördlichste Bibliothek in Tromsoe/Norwegen oder die Bibliothek am Marcusplatz in Venedig. Aber auch in Bibliotheken in den USA ist Liersch vertreten. Kunstbücher in kleiner Auflage gehören genauso zum Programm wie große Auflagen mit über 900 Exemplaren. Inzwischen kennt Hendrik Liersch viele Künstler und arbeitet regelmäßig mit ihnen zusammen. Er schwört aber auch auf das Internet und persönliche Kontakte. „Das Thema muss mich interessieren und die Menschen müssen mir gefallen“, so umschreibt der Drucker seine Auswahlkriterien. „Ich muss selbst von meinem Produkt überzeugt sein.“ KT
Autor:Klaus Teßmann aus Prenzlauer Berg |
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