Geburtsort der "Helden"
Die bewegte Geschichte des Meistersaals

Markante Fassade: der Meistersaal in der Köthener Straße. | Foto: Thomas Frey
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David Bowie blickte aus dem Fenster ins Niemandsland. Zu sehen war dort wenig, außer einem Liebespaar, direkt an der Mauer. Bowie reichte das als Inspiration. Ein Welthit war geboren. "Heroes". Helden.

So erzählt es die Legende, und sie ist zumindest nicht ganz falsch. David Bowie selbst hat sie in die Welt gesetzt. Er hat hier, im Meistersaal an der Köthener Straße 38, zwischen 1976 und 1978 zwei Alben aufgenommen. Zu ihnen gehörte auch "Heroes" mit dem gleichnamigen Titelsong. Nicht nur deshalb ist er der wahrscheinlich bekannteste Musiker, der in diesem Haus gearbeitet hat. Und die Zeit, als der Meistersaal ein weltweit nachgefragtes Tonstudio war, gilt bis heute als seine bekannteste Epoche. Gleichzeitig war es aber nur eine in der mehr als hundertjährigen Geschichte.

Heute wirkt das Gebäude mit seinen klassischen Säulen wie ein Fremdkörper in der von Neubaublöcken zugepflasterten Köthener Straße. Einst befand es sich in der Nachbarschaft anderer markanter Gebäude, etwa der alten Philharmonie vis-a-vis an der Bernburger Straße. Anders als die meisten hat der Meistersaal den Zweiten Weltkrieg, wenn auch mit Schäden, überstanden. Auch die Zeit der Teilung. Schon das macht ihn zu einem Solitär.

Sein Bauherr war 1913 der damalige "Verband der Baugeschäfte von Berlin und Vororten", der späteren Innung des Bauhandwerks. Er errichtete einen repräsentativen Standort mit Büros, einer Buchhandlung, auch Rechtsanwaltskanzleien zogen ein. Das Herzstück war aber der 266 Quadratmeter große Raum, gedacht für Veranstaltungen und Tagungen, gleichzeitig als Kammermusiksaal geplant. Seinen Namen soll er durch ein Preisausschreiben bekommen haben. Die Erklärung aus der Handwerkerzunft liegt nahe. Dort bekamen die Gesellen nach bestandener Meisterprüfung den Meisterbrief ausgehändigt. Bereits deshalb passte Meistersaal. Und so hieß dann auch das ganze Gebäude.

George Grosz und Kurt Tucholsky

Der Meistersaal wurde vor allem in den 1920er-Jahren als Kulturort bekannt. 1923 zog der avantgardistisch-kommunistische Malik-Velag von Wieland Herzfelde ein. Ebenso die Galerie des Malers George Grosz. Mieter, die der Bauhandwerkerinnung sehr bald missfielen. 1926 wurde ihr Vertrag nicht verlängert. Literarische und musikalische Darbietungen fanden dagegen weiter Akzeptanz. Sänger und Schauspieler traten ebenso auf wie beispielsweise die Schriftsteller Karl Kraus und Kurt Tucholsky.

Zum reinen Konzertsaal, bespielt von der Reichsmusikkammer, wurde er während der Nazizeit. Ende November 1943 zerstörte ein Bombentreffer den Seitenflügel fast vollständig. Der Aufführungsraum blieb zwar weitgehend verschont, bis Kriegsende fanden aber keine Vorstellungen mehr statt. Das änderte sich nach 1945. Neben Konzerten gab es auch einen Kinobetrieb. Zauberer traten auf und im Meisteraal etablierte sich zunächst das Ballhaus City, das 1953 in Ballhaus Susi umbenannt wurde. Vergnügungsangebote, die nicht zuletzt auf das Publikum in Ost-Berlin abzielten. Denn das Gebäude befand sich zwar im Westteil der Stadt, aber nur wenige Meter entfernt von der Demarkationslinie, die ab dem 13. August 1961 durch die Mauer zementiert wurde.

Danach blieben die Besucher weitgehend aus. Und für den Meistersaal begann die bekannteste Phase seiner Existenz: als Tonstudio. Zunächst genutzt durch die Schallplattenfirma Ariola. Gerade die durch die Mauer verursachte "tote Hose" in der Umgebung sah das Label als Standortvorteil. Der Meistersaal stand wie ein letzter Findling in der Gegend. Es war ruhig, Störgeräusche kaum zu erwarten.

Schlager und Operette

In der Ariola-Phase sangen und spielten vor allem deutschsprachige Interpreten aus der Operetten- und Schlagerbranche ihre Tonträger ein, von Rudolf Schock über René Kollo bis Ivan Rebroff und Peter Alexander. 1976 übernahmen die Meisel Musikverlage und eröffneten die Hansa-Studios. Sie sanierten die Immobilie und brachten vor allem die Technik auf die Höhe der Zeit. Was danach viele internationale Stars anlockte. David Bowie, der Ende der 70er-Jahre in Berlin lebte, war einer der ersten. Gerade ihn hat die Szenerie und Skurrilität der geteilten Stadt besonders bewegt. Festgemacht vor allem an "Heroes".

In seinem Gefolge und danach kamen weitere Sänger und Bands: Iggy Pop, Depeche Mode, John Bon Jovi und U2, ebenso wie nationale Größen von Udo Jürgens bis Udo Lindenberg, Nena, Nina Hagen, Die toten Hosen. Sie und noch viele weitere produzierten im Meistersaal, der damals übrigens ganz profan Studio 2 hieß. Aber, ebenfalls durch David Bowie noch eine andere Bezeichnung bekam: „The big hall by the wall“ (die große Halle an der Mauer).

Eine Epoche, die mit dem Ende der Teilung Berlins zu Ende ging. Mit der Ruhe war es jetzt vorbei. Zudem wurden solche riesigen Studios immer weniger gebraucht. Zurück zu den Wurzeln hieß danach das Konzept. Der Meistersaal sollte wieder ein Kulturstätte werden. Zuvor gab es umfangreiche Sanierungsarbeiten, die sich auch an der ursprünglichen Gestalt aus dem Jahr 1913 orientierten. Verschiedene Betreiber versuchten sich an einem Programm aus Konzerten, Lesungen und Theater. Und mussten jeweils feststellen, dass es sich ohne staatliche Subventionen als nicht rentabel erwies. 2009 kam es deshalb zum bisher letzten Umbau und einem weiteren Neustart.

Der Meistersaal mutierte zu einer Eventlocation für Veranstaltungen unterschiedlichster Art – Galas, Feiern, Tagungen, auch Kulturaufführungen gehören dazu. Noch immer gibt es die Hansa Studios im Haus. Hinzu kamen weitere Musikproduzenten wie die Emil Berliner Studios - der Name ist übrigens keine Hommage an die Stadt, sondern erinnert an Emil Berliner, den Erfinder der Schallplatte -, das Hansaplatz Studio, die Firma Edition Meister, die Firma Audioberlin und der Hansa Mixroom .

Pilgerstätte für Bowie-Fans

Das alles macht den Eindruck, als würde im Meistersaal und seiner Immobilie ziemlich viel, was dort irgendwann einmal passierte, inzwischen wieder aufleben. Nur die Bauhandwerkerinnung spielt schon lange keine Rolle mehr. Sie wurde als Besitzer bereits 1945 von den alliierten Siegermächten enteignet.

Aber natürlich bleibt die Phase, als das Haus eine Art Eldorado des globalen Musikbusiness war, am meisten präsent. Auch für das ältere Ehepaar aus Großbritannien, das sich an diesem Tag gegenseitig vor dem David-Bowie-Bild an der Eingangsfront fotografiert. An ihn wird dort ebenso erinnert wie auf einer Gedenktafel an den Malik-Verlag. Führungen auf den Spuren der Hansastudio-Geschichte gibt es ebenfalls. Und als David Bowie im Januar 2016 starb, versammelte sich die Berliner Trauergemeinde natürlich im Meistersaal. Den ganzen Tag liefen Filmsequenzen über das Leben und Werk der Popikone. Eduard Meyer war auch aus diesem traurigen Anlass als Zeitzeuge und Anekdotenerzähler gefragt. Er hat bei den Bowie-Alben an der Köthener Straße als Tontechniker mitgewirkt. Auch bei "Heroes". Der Song erklang immer wieder. Und spätestens beim Refrain, herrschte, egal in welcher Sprache, Textsicherheit. "Wir sind dann Helden, für einen Tag".

Autor:

Thomas Frey aus Friedrichshain

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