Erdkunde statt neuer Erkenntnisse: Umstrittene Dealer-Ausstellung ist eher nichtssagend
Die Schau hat bereits vor ihrem Beginn großen Wirbel gemacht. Drogenhändler als eine Art Helden im öffentlichen Raum zu würdigen, wie der Ankündigungstext suggerierte, geht das?
Bis 14. Januar kann sich jeder dazu eine Meinung bilden. So lange ist noch im Friedrichshain-Kreuzberg Museum, Adalbertstraße 95a, die Ausstellung "Andere Heimaten" des Künstlers Scott Holmquist zu sehen. Im Mittelpunkt stehen Drogenhändler, die im Görlitzer Park ihrer "Arbeit" nachgehen. Wer allerdings erwartet, etwas über ihre Biografie oder den Weg ins Dealergewerbe zu erfahren, wird enttäuscht. Die beiliegenden Texte, die per Abrissblätter mitgenommen werden können, geben darüber keine Auskunft. Sie kommen vielmehr wie eine Mischung aus Erdkunde und Ethnologie daher.
Dealer B. – es gibt immer nur einen Anfangsbuchstaben und kein Alter – sagt zum Beispiel, er stamme aus Brazzaville, Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo. Es folgt eine Stadttopografie, einschließlich Architektur und Temperatur. Auch solche tiefgründigen Erkenntnisse wie die, dass der Flughafen von Brazzaville auch als Airport der benachbarten Metropole Kinshasa dient, wird erwähnt. Aber keine Angaben, wie und wo der Mensch dort lebte und was ihn zur Flucht nach Europa bewog.
Und das nicht nur in diesem Fall. Der Leser kennt nun zwar einige weitere Orte in Senegal, Nigeria oder Gambia, woher die meisten vorgestellten Suchtmittelverkäufer stammten. Er weiß jetzt mehr über dortige Autobahnkreuze, Fußballvereine oder die Dauer der Regenzeit. Das alles noch garniert mit Fotos. Eine Postkartenattitüde, die aber eher die Frage aufwirft, warum diese Leute ihre Heimat verlassen haben.
Einige Informationen gibt es immerhin zur Migrationsroute. Schon weil die dann Eingang in eine große Karte in der Ausstellung fanden. Dealer B. kam schon vor einem Jahrzehnt über Mali und Algerien und dann per Boot nach Europa. Den oft tödlichen Weg über das Mittelmeer von Libyen aus nannten ebenfalls einige als Teil ihrer Fluchtpassage. Andere gaben an, per Flugzeug gelandet zu sein. Manche wollten ihre einzelnen Stationen aber auch nicht genauer "spezifizieren".
Je mehr das Vertiefen in die Texte dauert, umso mehr stellt sich die Frage: Was soll das Ganze? Eine ähnliche Einschätzung gibt es bei vielen Einträgen im Gästebuch. Zwar wird dort die Schau auch als "interessant", "mutig" oder "gelungen" gewürdigt. Aber oft verbunden mit dem Zusatz, dass mehr Angaben zur Geschichte der Dealer-Protagonisten vermisst wurde. Andere Besucher formulieren härter, schreiben von "vertaner Chance" oder dem "Niveau eines Reiseführers". Auch dass gerade diese Personengruppe als Exempel für "Andere Heimaten" herhalten soll, stieß ebenfalls auf Ablehnung. Besser wäre eine Ausstellung über Flüchtlinge gewesen, die mit ehrlicher Arbeit versuchen, in Deutschland Fuß zu fassen, lautete ein Kommentar. Ein anderer: "Es gibt Gründe, warum Menschen nach Europa kommen. Aber mit Drogen zu dealen, ist kein Grund."
Nicht nur dieses Pro und häufige Contra lässt auf ein anderes Ziel schließen, das die Ausstellung zumindest als wichtigen Nebeneffekt verfolgt. Nämlich die öffentliche Auseinandersetzung, die wiederum für Aufmerksamkeit sorgt. Ähnlich großen Platz wie die Dealer-Statements in Form von Landeskunde nehmen Zeitungsartikel ein, die in vergangenen Jahren und sogar Jahrzehnten zum Thema Drogen, Handel und Händler verfasst wurden. Darunter natürlich auch diejenigen, die im Vorfeld der Eröffnung erschienen sind. Das vermittelt den Eindruck, als wäre die Aufregung bereits eingepreist gewesen.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
2 Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.