Nicht verpennt, sondern nicht gewollt: Die Debatte um die Fontanepromenade kommt zu spät

Das eingerüstete Haus Fontanepromenade 15 mit der derzeit verhüllten Stele. | Foto: Thomas Frey
  • Das eingerüstete Haus Fontanepromenade 15 mit der derzeit verhüllten Stele.
  • Foto: Thomas Frey
  • hochgeladen von Thomas Frey

Kreuzberg. Zuletzt meldete sich Inge Deutschkron zu Wort. Die 94-jährige Autorin und Holocaust-Überlebende tat das auch in ganz eigener Sache.

"Ich bin eine von vielen tausend Berliner Jüdinnen und Juden, für die dieser Ort der Ausgangspunkt unsäglichen Leidens geworden ist", heißt es unter anderem in einem offenen Brief, den sie an Bürgermeisterin Monika Herrmann (Bündnis90/Grüne) und Kultursenator Klaus Lederer (Linke) schickte. Mit "diesem Ort" ist die Fontanepromenade 15 gemeint. Wie berichtet gibt es inzwischen Protest gegen den Verkauf und Umbau des Gebäudes zu einem Wohn- und Bürohaus. Denn an dieser Adresse befand sich während der Nazizeit das Jüdische Arbeitsamt. Juden wurden von dort zur Zwangsarbeit befohlen. Das passierte in Abstimmung mit der Gestapo. "Schikanepromenade" wurde das Haus von den Betroffenen genannt.

Dass in einem Gebäude mit dieser Vergangenheit künftig ganz normal gelebt und gearbeitet werden soll, ruft nicht nur Inge Deutschkron auf den Plan. Es solle eine Nutzung erfahren, das "seiner historischen Bedeutung gerecht wird", so ihr Appell. Er kommt aber wahrscheinlich viel zu spät.

Diese Möglichkeit hätte es gegeben, wenn sie wirklich gewollt gewesen wäre. Aber das war nicht der Fall. Und der Protest hätte vor mindestens einem Jahr einsetzen müssen. Was aber ebenfalls nicht passierte.

Es nicht möglich, jeden Ort, der an die NS-Zeit und ihre Verbrechen erinnert, für die Öffentlichkeit zu sichern. An vielen Stellen geht das schon deshalb nicht, weil sie sich in Privatbesitz befinden. Das galt lange auch für die Fontanepromenade. Das Haus gehörte seit der Nachkriegszeit einer Mormonengemeinde. Die bot es aber 2015 für einen Preis von rund 800 000 Euro zum Verkauf an. Darauf verwies Mitglied Frank Körner im November 2015 bei einer Sitzung der Gedenktafelkommission. Dieses Gremium ist eine Art letzte Instanz in Sachen Erinnerungskultur im Bezirk. Und es entschied, wie schon zwei Jahre zuvor, "hier keine weitere museale Gedenkstätte anzustreben". Vielmehr sollte es bei der 2013 errichteten Stele vor dem Haus bleiben.

Damit war die Chance vertan, das Gebäude für die öffentliche Hand zu sichern und vielleicht ein Museum, Ausstellungsraum, Begegnungszentrum oder ähnliches in dieser Richtung einzurichten. Ein privater Immobilieninvestor sicherte sich das Objekt mit dem bekannten Ergebnis. "Das wurde nicht verpennt", betont auch Martin Düspohl, der Leiter des Friedrichshain-Kreuzberg Museums. Nein, es war nie vorgesehen.

Martin Düspohl macht in diesem Zusammenhang noch einmal die finanziellen Zwänge deutlich, denen gerade der Fachbereich Kultur und Geschichte im Bezirk unterliegt. Für sein Museum habe er nur einen Mini-Etat von nicht einmal 10 000 Euro. Ein Kauf der Fontanpromenade wäre allein nicht zu stemmen gewesen und hätte auch weitere Folgekosten wie Unterhalt, Programm oder Mitarbeiter nach sich gezogen. Wenn überhaupt wäre das höchstens durch Landesmittel oder mit Hilfe anderer Einrichtungen möglich gewesen.

Annette Ahme hofft immer noch, dass öffentliche oder private Geldgeber, zum Beispiel auch Stiftungen, einsteigen. Die Vorsitzende des Vereins Berliner Historische Mitte zählt inzwischen ebenfalls zum Kreis der Protestgemeinde. Auch wenn das sehr spät passiere, wie sie ebenso einräumt wie Lothar Eberhardt. Er hat Ende vergangenen Jahres die Aktivitäten für ein würdiges Gedenken federführend angeschoben und macht seither weitere Unterstützer mobil.

Aber was lässt sich jetzt noch ändern? Das Haus ist verkauft, die Umbauarbeiten haben begonnen. Auch sie habe die erteilte Baugenehmigung gleichermaßen geärgert und irritiert, erklärte Bürgermeisterin Monika Herrmann in ihrem Antwortbrief an Inge Deutschkron. Eine Lösung könne sie aber bisher noch nicht mitteilen. Die kann nach derzeitigem Stand wohl allenfalls kosmetisch ausfallen. Auch ein Antrag der SPD-Fraktion für die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) am 11. Januar geht in diese Richtung. Das Bezirksamt soll sich "in einem geeigneten Format mit der Öffentlichkeit über eine Sicherung und Entwicklung des Gedenkortes austauschen und die Ergebnisse umsetzen", heißt es dort. Konkret genannt werden weitere Gedenkpunkte im oder am Gebäude. tf

Autor:

Thomas Frey aus Friedrichshain

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

50 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

WirtschaftAnzeige
Für weitere rund 42.500 Haushalte in Berlin baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom

Telekom vernetzt
Glasfaser-Internet hier im Bezirk

Aktuell laufen die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes in Berlin auf Hochtouren. Neue Arbeiten starten nun auch in Frohnau, Hakenfelde, Lichtenrade und Mariendorf. Damit können weitere rund 42.500 Haushalte und Unternehmen einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Bis 2023 plant die Telekom insgesamt zwei Millionen Anschlüsse in Berlin zu ermöglichen. Schnell sein...

  • Frohnau
  • 27.11.24
  • 507× gelesen
WirtschaftAnzeige
JRB DER HEIMWERKER hat alles, was Ihr Weihnachtsfest schöner macht. | Foto: JRB DER HEIMWERKER

JRB DER HEIMWERKER
Alles für Advent und Weihnachten

JRB DER HEIMWERKER hat ein stimmungsvolles und umfangreiches Angebot im Weihnachtsmarkt für Sie, liebe Kunden, zusammengestellt. Im EG. und 1. OG, das Sie bequem mit Rolltreppe oder Aufzug erreichen können, erwartet Sie eine große Auswahl an Weihnachtsdekoration. Christbaumkugeln und Spitzen in vielen Farben und Formen sowie viele Deko-Artikel, Figuren sind in großer Auswahl vorhanden. Das wichtigste ist ein guter Weihnachtsbaumständer und natürlich die Beleuchtung. Wir führen Lichterketten,...

  • Köpenick
  • 27.11.24
  • 386× gelesen
KulturAnzeige
Blick in die Ausstellung über den Palast der Republik. | Foto: David von Becker
2 Bilder

Geschichte zum Anfassen
Die Ausstellung "Hin und weg" im Humboldt Forum

Im Humboldt Forum wird seit Mai die Sonderausstellung „Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart“ gezeigt. Auf rund 1.300 Quadratmetern erwacht die Geschichte des berühmten Palastes der Republik zum Leben – von seiner Errichtung in den 1970er-Jahren bis zu seinem Abriss 2008. Objekte aus dem Palast, wie Fragmente der Skulptur „Gläserne Blume“, das Gemälde „Die Rote Fahne“ von Willi Sitte, Zeichnungen und Fotos erzählen von der damaligen Zeit. Zahlreiche Audio- und Videointerviews geben...

  • Mitte
  • 08.11.24
  • 1.449× gelesen
WirtschaftAnzeige
Das Team von Optik an der Zeile freut sich auf Ihren Besuch. | Foto: privat

Optik an der Zeile
16. Brillenmesse vom 5. bis 7. Dezember 2024

40 Jahre Augenoptik-Tradition im Märkischen Viertel, das feiern wir immer noch in diesem Jahr 2024. Feiern Sie mit uns und profitieren Sie von unseren Jubiläumsangeboten. Kommen Sie zu uns und staunen Sie über die Vielfalt der Angebote. Anlässlich unserer 16. Brillenmesse vom 5. bis 7. Dezember 2024 bieten wir Ihnen die gesamte Kollektion namhafter Designer. Sie können aus einer riesigen Auswahl Ihre Brille finden. Mit vielen schönen Brillengestellen und den Brillengläsern von Essilor und...

  • Märkisches Viertel
  • 13.11.24
  • 1.174× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.