Stadtspaziergang
Unterwegs in Friedrichstadt und Luisenstadt
Der nächste Spaziergang geht ins Zeitungsviertel der alten Friedrichstadt und in die Luisenstadt ein. Einst als Berlins Köpenicker Vorstadt angelegt, ist sie vor 220 Jahren nach Königin Luise benannt worden.
Wer an der Oranienstraße erstmalig vorbeikommt, reibt sich womöglich die Augen. Da steht auf märkischem Sand neben all der steinernen und gläsernen Moderne ein wie aus der Zeit gefallener Bau: Dunkle Klinker, ein Säulenumgang, schlichte Formen und gerader Turm – ganz wie eine uralte Kirche Italiens. Man sucht unwillkürlich nach den Pinien, die sie umgeben müssten. St. Jakobi ist in den 50er-Jahren wieder aufgebaut worden. Am 3. Februar, dem ersten der großen US-Bombenangriffe von 1945 auf Berlin, war sie getroffen worden, wie viele Bauten des südlichen Zentrums. 1843 hatte der königliche Architekt August Stüler sie als Neue Luisenstadtkirche im Stil romanischer Basiliken entworfen.
Die beiden noch älteren Barockkirchen in der Nähe gibt es nicht mehr. Die alte Jerusalemkirche (erste Erwähnung als Kapelle 1484) an der Ecke Lindenstraße wurde 1961 als Ruine gesprengt, das Platzdreieck „An der Jerusalemer Kirche“ 1963 aufgehoben, 1966 auch die südliche Jerusalemer Straße bis Zimmerstraße.
Schon 1959 hatte Axel Springer quer über die Straße sein Zeitungshochhaus gebaut, im amerikanischen Sektor, zwei Jahre vor dem Mauerbau. Monate vorher beantragte er bei einem Besuch im Büro beim damaligen Kreuzberger Bezirksbürgermeister Willy Kressmann und Wirtschaftsstadtrat König (beide SPD) pflichtgemäß seine Gewerbeerlaubnis. Die stadtbekannte Architektin Sigrid Kressmann-Zschach – vormals Ehefrau Kressmanns – baute 1968 die neue Jerusalemkirche an der Ecke Markgrafen- und Lindenstraße, inzwischen Kongresszentrum.
Der alte Standort an heutiger Rudi-Dutschke-Straße ist berühmt auch wegen des Drei-Väter-Denkmals, das zum 20. Einheitsfeiertag geweiht wurde. Nun, da im Vorjahr Michail Gorbatschow als letzter und jüngster der Väter gestorben ist, kann man allen dreien zauf diesem Grundstück gedenken. Die nahe Sebastian- später Luisenstädtische Kirche an der Alten Jakobstraße ist ebenfalls nur als Bodendenkmal erhalten. Die Ruine war 1964 gesprengt worden, weil die dortige Kirchgemeinde kein Geld für den geforderten Umbau hatte.
Es ist verblüffend, dass 350 Meter südlich, an der Oranienstraße ein erhaltenes Denkmal von 1889 steht – die Standfigur des Juristen Benedikt Waldeck (1802-1870), Doktor des Römischen und des Preußischen Rechts. Ab 1846 Richter am Geheimen Obertribunal Berlin, schuf er während der 1848er Märzrevolution den Entwurf einer liberalen Verfassung für das Königreich Preußen. Nach der Niederlage der Achtundvierziger sperrten ihn seine reaktionären Gegner in Preußens Justiz mithilfe gefälschter Papiere unter Beschuldigung des Hochverrats über sechs Monate ins Gefängnis. Dem Freispruch folgte ein Triumphzug jubelnder Berliner, vorbei am königlichen Schloss. Erst zehn Jahre später, mit der Regentschaft des späteren Königs Wilhelm I. und der Verkündung einer „Neuen Ära“ kam Waldeck zurück in die Politik, als einer der klügsten Köpfe der Fortschrittspartei. Das Denkmal kam 1936 nach Reinickendorf, kehrte Ende der 70er-Jahre an den alten Standort zurück.
Nahe dem Standbild vom Bildhauer Heinrich Walger blieb ein Grabmal des alten St. Petri-Friedhofs erhalten, nämlich das des akademischen Reitlehrers Ernst Ferdinand Ayrer (1774-1832) aus Göttingen. Der war dort vom Jurastudium zur Reitkunst, Mathematik, Mechanik und Hippologie gewechselt. Nach Weiterbildung an Wiens Tierarzneischule folgte er dem Vater als Göttinger Universitätsstallmeister, ordentlicher Professor der Tiermedizin. Ab 2. April 1832 Erster königlicher Ober-Marstall-Meister in Berlin, starb er am neuen Wirkungsort schon am 18. November des Jahres.
Neben aller großen Historie gibt es auch manche Lokalanekdote, etwa zur Umbenennung der alten Hasenhegerstraße in Feilnerstraße im Februar 1848. Die Nummer 4 war Feilners Haus. Schinkel hatte es seinem Freund, den Keramikunternehmer und Erfinder des Berliner Kachelofens Tobias Feilner gebaut. Die serielle Fensterbrüstungsterrakottaplatte, unbekleidete Jungfrauen in floralem Schmuck, modellierte 1829 Ludwig Wichmann, Feilners Schwiegersohn, der mit seiner Familie auch eine der sechs Mietwohnungen bezog. Jener Wichmann, dem wir als noch ledigem jungen Bildhauer die Ausführung von immerhin acht der großen Genienfiguren an Schinkels Kreuzberg-Denkmal verdanken. Anders als dieses Denkmal ist die Ruine vom Feilnerhaus seit 1962 verschwunden, wie auch die der Bauakademie, als deren Gestaltungsvorlage es gilt.
Zur InterBau 1987 entstand das neue Wohnquartier als gewollte Übersetzung Schinkels in damalige „Postmoderne“. Um die Ecke sitzen die Senatsverwaltungen für Integration, Arbeit und Soziales sowie für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung in einem Haus. Wussten Sie, dass dieser Komplex von 1919 bis 1924 als Reichsschuldenverwaltung errichtet worden ist und wichtigster Regierungsbürobau der Weimarer Republik blieb? Fast so mächtig gewaltig wie die im Krieg angehäuften Schulden, doch fertiggestellt trotz oder wegen damals galoppierender Inflation. Ein Bauwerk der Moderne, auch dort lässt Schinkel grüßen, so wegen der massenhaft verwendeten Ziegel und des figürlichen Terrakottaschmucks hoch oben, der vor allem vom damals in Berlin vielbeschäftigten Bildhauer Hugo Lederer stammt.
Der Spaziergang beginnt am Sonnabend, 21. Januar, um 11 Uhr. Treffpunkt ist die Ecke Axel-Springer- und Rudi-Dutschke-Straße, zu erreichen mit der U6 bis Kochstraße oder mit der U2 bis Spittelmarkt. Die Tour wiederhole ich am Sonnabend, 28. Januar, um 14 Uhr. Die Teilnahme kostet neun, ermäßigt sieben Euro. Anmeldung dafür unter Tel. 442 32 31.
Die Führung ist für Leser der Berliner Woche und des Spandauer Volksblatts kostenlos. Allerdings ist eine Anmeldung erforderlich: Am Dienstag, 17. Januar, in der Zeit von 10 bis 12 Uhr anrufen unter Tel. 887 27 73 02.
Autor:Bernd S. Meyer aus Mitte |
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