Sechs Tage in der Schenkendorfstraße 7
Das "Volksgefängnis" von Peter Lorenz
Die Schenkendorfstraße ist nur etwa 80 Meter lang und verbindet die Bergmann- mit der Arndtstraße. Wie fast im gesamten Bergmannkiez dominiert dort die noch erhaltende Gründerzeitbebauung.
Auch beim Haus Nummer 7 mit seinen sechs Etagen. Im Erdgeschoss befindet sich die ambulante Wohnhilfe des Diakonischen Werks. Darunter ein Kellerraum. Er war vor etwas mehr als 45 Jahren das Verlies eines Entführten.
Zwischen 27. Februar und 4. März 1975 wurde dort der West-Berliner CDU-Politiker Peter Lorenz von Terroristen der "Bewegung 2. Juni" in einem sogenannten "Volksgefängnis" festgehalten. Er kam frei, nachdem fünf ihrer Gesinnungsgenossen aus der Haft entlassen und in den Südjemen ausgeflogen wurden. Bei Lorenz hat der sogenannte Große Krisenstab von Bundesregierung und Opposition den Forderungen nachgegeben. Anders als 1977 bei der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer und der Lufthansa-Maschine Landshut.
Peter Lorenz, damals 53, war im Frühjahr 1975 CDU-Vorsitzender und Spitzenkandidat seiner Partei für die Abgeordnetenhauswahl, die am 2. März stattfand. Drei Tage zuvor war er auf dem Weg von seinem Haus in die Innenstadt an der Ecke Quermaten- und Ithweg in Zehlendorf in seinem Dienstwagen überwältigt worden. Die Kidnapper fuhren mit ihm zunächst in eine Tiefgarage an der Neuen Kantstraße, wo sie das Fahrzeug wechselten, danach in die Schenkendorfstraße. Der Einzug in den Keller erfolgte in einer Kiste. Er erregte keine Aufmerksamkeit. Auch nicht bei zwei alten Damen, die sich nach späteren Berichten zu diesem Zeitpunkt auf dem Gehweg davor aufgehalten haben. Die Räume waren zuvor als Second-Hand-Laden angemietet worden.
Der Tod Benno Ohnesorgs
als Initialzündung
Im Keller entstanden auch die Geiselfotos einschließlich Plakat mit der Aufschrift "Gefangener der Bewegung 2. Juni". Der Name verwies auf die Ereignisse am 2. Juni 1967, den Tod des Studenten Benno Ohnesorg während der Anti-Schah-Demonstration an der Deutschen Oper. Abgefeuert hatte die Kugel der Polizist Karl-Heinz Kurras, bei dem sich Jahrzehnte später herausstellte, dass er damals auch im Sold der DDR-Staatssicherheit stand.
Der 2. Juni 1967 war eine Initialzündung für die folgende Studentenbewegung. Nach ihrem Zerfall radikalisierten sich einige Mitglieder. Ein Ergebnis war die "Rote Armee Fraktion" (RAF) um Andreas Baader, Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin. Ein anderes die "Bewegung 2. Juni". Beide zielten später auch darauf ab, verhaftete Mitglieder wieder frei zu bekommen. Bei der Lorenz-Entführung wurde das zum ersten Mal mit einer Geiselnahme versucht.
Sehr schnell nach dem Verschwinden des CDU-Politikers begannen erste Fahndungsmaßnahmen. Allerdings dosiert. Das Leben der Geisel hatte Vorrang. Diese Vorgabe war schließlich auch ausschlaggebend, dass es zu einem Austausch kam. Zunächst sollten sechs Terroristen in Frankfurt zusammengeführt und danach nach Aden ausgeflogen werden. Es waren dann fünf, nämlich Verena Becker, Gabriele Kröcher-Tiedemann, Ingrid Siepmann, Rolf Pohle und Rolf Heißler. Die Mitreise verweigert hatte Horst Mahler. Mahler, ehemaliger Rechtsanwalt und später RAF-Mitglied, ist heute vor allem als Rechtsextremist bekannt.
"So ein Tag, so wunderschön
wie heute"
Begleiten sollte sie Heinrich Albertz, Pfarrer und zwischen 1966 und 1967 Regierender Bürgermeister von Berlin. Die Ereignisse am 2. Juni kosteten ihn das Amt. Sozialdemokrat Albertz, zuvor eher als Law-and-Order-Mann bekannt, räumte nach dem Tod von Benno Ohnesorg Fehler und Versäumnisse ein und zeigte Verständnis für den Protest der Studenten.
Während draußen um seine Freilassung gerungen wurde, saß Peter Lorenz sechs Tage unbemerkt im Keller an der Schenkendorfstraße. Später hat er sich dazu nur selten geäußert. Dass seine Entführer am Sonnabend das Ohnsorg-Theater im Fernsehen angeschaut hätten, gehörte zu den wenigen öffentlichen Berichten. Und einen Tag später hätten sie ihm zur gewonnen Wahl gratuliert.
Bei der war die CDU mit ihrem gefangenen Spitzenkandidaten zum ersten Mal stärkste Partei in West-Berlin geworden. Zur Regierungsübernahme reichte es aber nicht, weil SPD und FDP erneut eine Koalition eingingen. Wegen des ungewissen Schicksals ihres Vorsitzenden fiel die Siegesfeier sehr verhalten aus. Auch im Kreuzberger Kreisbüro der CDU. Das befand sich damals direkt gegenüber an der Schenkendorfstraße.
Nach der Rückkehr aus dem Südjemen musste Heinrich Albertz ein Statement im Fernsehen verlesen. Es enthielt den Satz "So ein Tag, so wunderschön wie heute". Er war der Code, auf den die Geiselnehmer gewartet hatten. Sie brachten Lorenz zum Volkspark Wilmersdorf und gaben ihm noch einige Münzen für den ersten Anruf in Freiheit aus einer Telefonzelle. Danach begann die schon seit Tagen geplante Großfahndung. Aber es sollte noch mehr als ein halbes Jahr dauern, bis das Versteck gefunden wurde.
Freiheitsstrafen von bis zu 15 Jahren
Im Zusammenhang mit der Lorenz-Entführung wurden mehrere Tatverdächtige verhaftet und zu Freiheitsstrafen von bis zu 15 Jahren verurteilt. Von den ausgetauschten Terroristen sind einige bei späteren Anschlägen und Attentaten vor allem im Jahr 1977 erneut in Erscheinung getreten. Was ein Grund für die harte Haltung des Großen Krisenstabs nach der Schleyer-Entführung war.
Peter Lorenz wurde 1975 Präsident des Berliner Abgeordnetenhaus. Von 1982 bis 1987 amtierte er als Staatsminister im Kanzleramt. Er starb im Dezember 1987.
Die Schenkendorfstraße heißt seit 1879 nach dem Schriftsteller Maximilian von Schenkendorf, in manchen Schreibweisen auch Schenckendorff (1783-1817). Er verfasste Texte für manche heute noch gängige Volkslieder, die vor allem während der Zeit der Besatzung Berlins durch Napoleon und die folgenden Befreiungskriege entstanden. Das bekannteste heißt "Freiheit, die ich meine".
Auf die Gefangenschaft von Peter Lorenz soll künftig eine Gedenktafel am Haus Schenckendorfstraße 7 hinweisen. Das fordert ein Antrag von Timur Husein, CDU-Fraktionsvorsitzender in der Bezirksverordnetenversammlung. Er wurde zunächst in den Kulturausschuss überwiesen und von dort, wie üblich, zur weiteren Beratung an die Gedenktafelkommission.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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