Erster Blick auf den Neptun: Eine vergessene Sternstunde
Die beiden Herren blickten durch das Teleskop und sahen etwas, was vor ihnen noch niemand gesehen hatte. "Dieser Himmelskörper", sagte einer von ihnen, "ist noch nicht verzeichnet".
Das geschah in der Nacht des 23. September 1846 und gilt als eine Sternstunde der Astronomiegeschichte. Denn in diesem Moment wurde der Neptun als achter Planet des Sonnensystems entdeckt. Passiert ist das in der ehemaligen Sternwarte in Kreuzberg.
Ehemalig bedeutet, dass es sie nicht mehr gibt. Ebenso wie damals die Bezeichnung Kreuzberg noch nicht Teil des Namens war. Vielmehr hieß sie Neue Sternwarte und befand sich auf dem Gelände um den ebenfalls ehemaligen Blumengroßmarkt. Ganz genau an der heutigen Enckestraße, am Enckeplatz 3a. Der Enckeplatz ist später in der Enckestraße aufgegangen. Sie gehört mit nur etwa 60 Metern zu den kleinsten Straßen im Bezirk.
Auf diesem Areal wird derzeit gebaut. Rund um den Blumengroßmarkt, inzwischen Akademie des Jüdischen Museums, entsteht ein Büro-, Wohn- und Kreativquartier. Die Vergangenheit entfernt sich damit noch weiter. Was der Bezirksverordnete Lothar Jösting-Schüßler (Linke) verhindern möchte. Er hat den Antrag gestellt, auf die Neptun-Entdeckung an diesem Ort hinzuweisen. Zum Beispiel durch eine Stele. Denn, so konstatiert er, die Entdeckung des Großplaneten an dieser Stelle sei weitgehend vergessen. Ebenso wie Johann Gottfried Galle, dem das Ereignis zu verdanken ist. Wobei der Astronom bis heute zumindest in Fachkreisen eine Rolle spielt und sogar Namensgeber zum Beispiel für Mond- oder Marskrater ist.
Produktiver Neuzugang
Johann Gottfried Galle (1812-1910) kam 1835 an die im selben Jahr eingeweihte Neue Sternwarte. Ihr seit 1711 existierender Vorläufer befand sich in der Dorotheenstadt in Mitte. Der Entwurf für den Neubau stammte von Baumeister Karl Friedrich Schinkel. Ein zweistöckiges Gebäude, dem eine drehbare Kuppel mit einem Durchmesser von siebeneinhalb Meter aufgesetzt war. Wie schon am vorherigen Standort hieß auch dort der Direktor Johann Franz Encke (1791-1865). Er bekleidete den Posten von 1825 bis 1863. Nach ihm wurde bereits 1844 der Enckeplatz und 1927 die Enckestraße benannt. Encke war es auch, der Galle an die Sternwarte holte. Der Neuzugang, zuvor als Lehrer tätig, erwies sich schnell als produktive Fachkraft. 1838 entdeckte er einen der inneren dunklen Ringe des Saturn. Gut ein Jahr später wies er drei bis dahin unbekannte Kometen nach. Aber der Höhepunkt seines Schaffens war die Nacht des 23. September 1846.
Sie hat eine Vorgeschichte. Bereits bekannt war der Nachbarplanet Uranus. Der verhielt sich in seiner Umlaufbahn allerdings nicht so, wie es die Astronomen und Mathematiker anhand der Newtonschen Gesetze berechnet hatten. Vor allem der Franzose Urbain Le Verier nahm deshalb an, dass ein weiterer, noch unbekannter Himmelskörper durch seine Anziehungskraft auf den Uranus einwirkt. Und er hatte bereits eine Ahnung davon, wo am Firmament dieser Planet wahrscheinlich zu finden ist. Seine Kollegen hielten von weiteren Nachforschungen aber wenig. Deshalb wandte er sich an den ihm bekannten Johann Gottfried Galle in Berlin. Galle erreichte Le Veriers Schreiben am Morgen des ereignisreichen Tages. Am Abend begab er sich mit seinem dänischen Assistenten Heinrich Louis d'Arrest in die Kuppel, richtete das Fernrohr auf die angegebene Position und fand jenen Stern, der bisher auf den Karten fehlte, worauf d'Arrest hinwies.
Geteilter Ruhm
Weil Galles Erfolg erst durch die Vorarbeiten Le Veriers möglich wurde, teilt er sich bis heute den Neptun-Ruhm mit ihm. Nach einigen Quellen sei es der Berliner Astronom selbst gewesen, der auf den Mann aus Paris als Mitentdecker hingewiesen habe. Andere wollten allerdings von preußisch-französischen Differenzen wissen.
Johann Gottfried Galle wurde 1851 Leiter der Sternwarte in Breslau, wirkte außerdem als Astronomieprofessor an der dortigen Universität. Unter anderem untersuchte er auch die genauen Bahnen der Planeten und die Höhe des Polarlichts. Alle Daten der bis dahin beobachteten Kometen fasste der Wissenschaftler 1894 in einem Standardwerk zusammen. Er starb mit 98 Jahren in Potsdam.
Dorthin, auf den Brauhausberg im damals noch selbständigen Babelsberg, war 1913 auch die Neue Sternwarte umgezogen. Am Enckeplatz war sie inzwischen von Neubauten der rasch gewachsenen Metropole des Kaiserreichs eingerahmt worden. Zudem sorgte das Stadtlicht für eingeschränkte Himmelsbeobachtung. Nach dem Auszug wurde das Gebäude abgerissen. So verblasste diese Sternstunde. Aber vielleicht ist sie künftig wenigstens in Form einer Stele präsent. Und Johann Gottfried Galle nicht nur im Weltall verewigt, sondern auch dort, wo er einst wirkte.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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