Lehrer Albrecht Johann hat seine Erinnerungen in einem Buch veröffentlich
Warum, erschließt sich bei der Lektüre nicht. Denn "RocknRoll und Ramadan", so der Titel, ist vieles, aber bestimmt keine böse Abrechnung. Eher eine Zeitreise durch mehr als drei Jahrzehnte Alltag an einer Kreuzberger Oberschule. Und vieles, was Albrecht Johann beschreibt, trifft auch auf andere Schulen zu.
Seit 1977 hat der heute 68-Jährige Geographie, Geschichte und Politik unterrichtet. Er startet mit dem Enthusiasmus eines 68er-Studenten, der alles anders machen will. Kein Druck, keine Repressionen, ein Freund der Schüler sein. In der Realität werden seine Ideale schon vor fast 40 Jahren auf eine harte Probe gestellt. Pennäler, denen es ziemlich egal ist, ob da vorn ein Pauker steht. Oder die ihn bewusst provozieren. "Ich bin zu weich, zu lieb, zu gutgläubig", resümiert er. Jeder Arbeitstag wird zum Horror, der zunächst nur mit Hilfe eines Coaches einigermaßen bewältigt werden kann. Schnell denkt Albrecht Johann daran, sich versetzen zu lassen. Aber er bleibt und kämpft sich durch.
Viel zur Stimmung habe bereits das Gebäude beigetragen, meint er. Ein Riesenkomplex, ausgelegt für mehr als 1000 Schüler. Zwar technisch und in der Einrichtung voll auf der Höhe der Zeit, aber anonym und abweisend. Ständig ist irgendetwas kaputt, herrscht Vandalismus, wird Müll einfach liegen gelassen.
Das bessert sich etwas, als in den 80er-Jahren umgebaut und parallel dazu schulintern einiges verändert wird. Dafür gibt es wenig später Probleme mit Asbest.
Schon zuvor hat Albrecht Johann zunehmend mit den gesellschaftlichen Veränderungen in Kreuzberg zu tun. Es kommen immer mehr sogenannte Gastarbeiterkinder. Beispielhaft dafür stehen im Buch zwei Mädchen, die er Rayhan und Emine nennt. Rayhans Eltern lehnen die westliche Lebensweise ab. Die Tochter bricht aus und wohnt eine Weile in einem Mädchenprojekt. Aber dann lässt sich Rayhan auf ein angebliches "Versöhnungstreffen" mit ihrer Familie ein. Dabei wird sie entführt und in der Türkei zwangsverheiratet.
Emine hat dagegen die Chance, sich zu einer selbstbestimmten jungen Frau zu entwickeln. Ihre Mutter verlässt mit ihr und den Geschwistern den gewalttätigen Vater. Nach der Schule macht das Mädchen eine Handwerkerlehre.
Die Zeiten, als Kinder aus Migrantenfamilien, eine Minderheit waren, sind einige Jahre später vorbei. Manche Klasse bestand dann nur noch aus diesen "Neudeutschen", wie Johann sie nennt. Darauf ist der Lehrplan nicht vorbereitet. Der Lehrer greift zur Selbsthilfe und behandelt in Geschichte auch Atatürk oder das Osmanische Reich. Eine kritische Analyse ist bei seinen Schützlingen zwar weniger gefragt. Aber es wird diskutiert. Auch über den Ramadan. Wann der jeweils am Abend eines Tages endet, ist Thema einer heftigen Elternversammlung. Verschiedene Kalender verweisen auf unterschiedliche Uhrzeiten. Denn ausgerechnet im Fastenmonat soll eine Klassenfahrt stattfinden.
Der RocknRoll hat es nicht nur wegen der schönen Alliteration auf den Buchtitel geschafft. Vielmehr ist Albrecht Johann ein großer Fan dieser Musik. Er organisiert Tanzkurse, bei denen die Teilnehmer mehr als nur den Hüftschwung lernen. Das kommt an. Manche schüchternen oder unauffälligen Schüler wachsen dabei über sich hinaus, hat er beobachtet.
Später ist für solche Aktivitäten immer weniger Zeit. Ab Mitte der 90er-Jahre wird gespart. Die Klassen werden größer, Lehrer bekommen zusätzliche Unterrichtsstunden. Diese Zeit habe für Probleme gesorgt, die bis heute nicht wirklich gelöst sind, findet Johann. "Es gab immer weniger die Möglichkeit, die Schüler auch individuell zu betreuen." Das wäre aber gerade jetzt besonders wichtig gewesen. Und nicht nur für diesen Abschnitt passt sein Vergleich mit der Seefahrt. "Wir waren eben nicht das Kreuzfahrtschiff. Sondern der Bergungsschlepper."
Manche Kollegen steigen aus, arbeiten weniger oder wollen nur noch in der Oberstufe unterrichten. Auch Albrecht Johann reduziert zuletzt seine Stundenzahl. 2011 geht er in den Ruhestand. Mit seinem Buch habe er seine 34 Berufsjahre reflektieren und sich selbst im Rückblick hinterfragen wollen, sagt er. Frust sei das letzte, was ihn dabei geleitet habe. "Vielmehr Leidenschaft."
So sollte das auch seine ehemalige Wirkungsstätte sehen. Um welche Schule es sich handelt, ist ohnehin unschwer herauszubekommen. Spätestens beim Lesen.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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