Ein wenig beachteter Gedenktag
Vor 90 Jahren starb Gustav Stresemann

Stresmanns Grab auf dem Luisenstädtischen Friedhof | Foto: Thomas Frey
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Das Grab gleicht mehr einem Mahnmal. Auf dem ebenfalls überdimensionalen Stein nur der Nachname: Stresemann. Darunter: Reichskanzler und Minister des Auswärtigen. Außerdem das Geburts- und Sterbedatum.

Die letzte Ruhestätte befindet sich auf dem Luisenstädtischen Friedhof am Südstern. Sie ist ein Ehrengrab des Landes Berlin. Wenige Tage nach dem 3. Oktober gab es dort neben der üblichen Bepflanzung nur ein paar einzelne Blumen. Sollten es zuvor mehr gewesen sein, waren sie schnell wieder verschwunden.

Der 3. Oktober war der 90. Todestag von Gustav Stresemann. Er wurde allgemein kaum beachtet. Mehr Interesse fand Ende September eine Gerichtsentscheidung, die mit ihm verbunden war. Eine Stiftung mit seinem Namen sollte offizielle Parteistiftung der AfD werden. Stresemanns Enkel gingen dagegen juristisch vor. Ihrer Klage folgte Ende September das Berliner Landgericht. Es sah einen Verstoß gegen das Namensrecht und eine "Zuordnungsverwirrung". Niemals hätte sich Gustav Stresemann mit dem Gedankengut dieser Partei gemein gemacht, unterstrich der Rechtsanwalt der Nachkommen beim Prozess.

Gespür für die Gefahr von rechts

Der Satz stimmt aus mehreren Gründen, speziell wegen Stresemanns Wirkens als Außenminister zwischen 1923 und seinem Tod 1929 und auch weil er, nach dem, was bekannt ist, früh ein Gespür für die drohende Gefahr von rechtsaußen entwickelte. Und nicht zuletzt wegen seiner Biografie. Gustav Stresemann lässt sich nicht nur "schwarz" oder "weiß" verorten.

Er wird 1878 geboren und wächst in der Köpenicker Straße auf. Seine Eltern betreiben dort einen Bierhandel sowie eine Gastwirtschaft. Die Entwicklung des Berliner Flaschenbiergeschäfts wird später das Thema seiner Doktorarbeit.

Zuvor besucht Stresemann das Friedrichshainer Andreas-Gymnasium und studiert nach dem Abitur 1897 zunächst Literaturwissenschaft und Geschichte, dann Nationalökonomie in Berlin und Leipzig. Er wird Geschäftsführer und Lobbyist beim Verband deutscher Schokoladenfabrikanten, danach Syndikus des Verbandes sächsischer Industrieller. Parallel dazu beginnt die politische Karriere. Seit 1903 Mitglied der rechtsliberalen Nationalliberalen Partei kommt Stresemann 1907 als damals jüngster Abgeordneter zum ersten Mal in den Reichstag.

Obwohl ein Mann der Wirtschaft plädiert er für sozialen Ausgleich, was auch eine Partnerschaft mit den Gewerkschaften einschließt. Außenpolitisch zeigt sich der Nachwuchspolitiker dagegen als Hardliner. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 wird von ihm begrüßt, ebenso wie die Forderung nach Gebietsansprüchen zu Gunsten des Deutschen Reiches. Umso mehr trifft ihn die Niederlage vier Jahre später.

Die nationalistischen Positionen führen dazu, dass 1918 sein Mitwirken bei der Gründung einer neuen liberalen Partei nicht gewünscht wird. Stresemann gründete daraufhin seine eigene Formation, die Deutsche Volkspartei, von der er sich aber im Laufe der Jahre immer mehr entfremdet.

Aus dem Annexions- wird der Verständigungspolitiker. Zunächst während seiner nur kurzen Zeit als Reichskanzler 1923, als er den Ruhrkampf und die Hyperinflation beendet, noch mehr danach in den sechs Jahren als Außenminister. Die Folgen des verlorenen Kriegs, nicht zuletzt die aufgebürdeten Reparationen, durch Verhandlungen abzumildern, wird jetzt sein Ziel.

Anfang vom Ende der Weimarer Republik

Der Weg ist mühsam, erste Erfolge stellen sich erst nach und nach ein, etwa 1925 im Vertrag von Locarno oder im Abzug der Franzosen aus dem besetzten Rheinland im Sommer 1930, den Gustav Stresemann schon nicht mehr erlebt.

International wird sein Wirken 1926 mit dem Friedensnobelpreis gewürdigt. In Deutschland steht sein Agieren dagegen unter Dauerfeuer vor allem von rechts. Der Vorwurf ein "Erfüllungspolitiker" zu sein, ist noch nicht einmal die schärfste Attacke. Nicht zuletzt von diesen Auseinandersetzungen angegriffen, stirbt Stresemann nach einem Schlaganfall mit nur 51 Jahren.

Seinen Trauerzug am 6. Oktober 1929 vom Reichstag zum Luisenstädtischen Friedhof wird zu einem Massenereignis. Aber nicht nur deshalb bekommt Stresemanns Tod vor allem im Nachhinein eine symbolische Bedeutung. Er gilt heute als Anfang vom Ende der Weimarer Republik. Gut drei Wochen später kommt es in New York zum Börsenkrach und danach zur Weltwirtschaftskrise. Auf ihrem Höhepunkt sind in Deutschland sechs Millionen Menschen arbeitslos – ein entscheidender Grund für das Aufkommen der Nazis. Ob es Stresemann gelungen wäre, ihre Machtübernahme zu verhindern, ist eine später immer wieder gestellte Frage, auf die es keine endgültige Antwort gibt.

Nationales Denken blieb bei ihm zeitlebens vorhanden. Auch seine Politik sollte dazu führen, die einstige Größe Deutschlands wiederherzustellen. Aber mit friedlichen Mitteln. Vor Antisemitismus war Gustav Stresemann schon deshalb gefeit, weil er mit einer Frau jüdischer Herkunft verheiratet war. Die emigrierte in den 1930er-Jahren in die USA. Ebenso ihre beiden Söhne. Einer davon, Wolfgang Stresemann (1904-1998), wurde als Komponist und Dirigent und vor allem langjähriger Intendant der Berliner Philharmoniker bekannt. Seine Kinder sind es jetzt, die sich gegen die versuchte Vereinnahmung ihres Großvaters durch die AfD zur Wehr setzten.

Autor:

Thomas Frey aus Friedrichshain

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