Wo Tote gefeiert werden: Spurensuche auf den Friedhöfen am Halleschen Tor

Die Gräber von Felix Mendelssohn-Bartholdy, Fanny Hensel und weiteren Mitgliedern der Familie Mendelssohn auf den Friedhöfen vor dem Halleschen Tor. | Foto: Thomas Frey
8Bilder
  • Die Gräber von Felix Mendelssohn-Bartholdy, Fanny Hensel und weiteren Mitgliedern der Familie Mendelssohn auf den Friedhöfen vor dem Halleschen Tor.
  • Foto: Thomas Frey
  • hochgeladen von Thomas Frey

Friedhöfe sind Oasen der Ruhe und gern genutzte Orte für Spaziergänge. Wer sich auf sie einlässt, kann eine Menge entdecken.

Jörg Sundermeier legt deshalb nahe, die Begräbnisstätten bereits aufzusuchen "bevor man stirbt". Darauf verweist der Untertitel seines Buchs über elf Berliner Friedhöfe. Darunter befinden sich auch die beiden großen Kreuzberger Grabanlagen: zum einen entlang der Bergmannstraße, wo der Autor sein Werk präsentierte, außerdem die Friedhöfe am Halleschen Tor zwischen Mehringdamm und Zossener Straße. Beschränken wir uns hier auf die Geheimnisse und Besonderheiten der Letzteren.

Die Friedhöfe vor dem Halleschen Tor, so die korrekte Bezeichnung, wurden ab 1735 angelegt. Wie der Name bereits andeutet, handelt es sich dabei um mehrere Begräbnisorte, namentlich die Friedhöfe I, II und III der Gemeinde Jerusalem- und Neue Kirche, der Friedhof I der Dreifaltigkeitsgemeinde sowie die letzten Ruhestätten der Bethlehems- und Böhmischen Gemeindesowie der Brüdergemeinde. Vom Gottesacker der Böhmischen Brüder bestehen heute nur noch Reste. Ein Großteil wurde in den 1950er-Jahren eingeebnet, als im Zuge des Baus der Amerika-Gedenkbibliothek auch die Blücherstraße verbreitert wurde.

Unsterbliche Tote

"Wo Tote gefeiert werden" hat Jörg Sundermeier sein Kapitel über die Friedhöfe am Halleschen Tor umschrieben. Das klingt mystisch, aber auch naheliegend. Da ist zunächst das Gerücht, es habe auf dem Gelände einst ein "Leichen- und Rettungsgebäude für Scheintote" gegeben. Es passt ins Bild einer Begräbnisstätte, auf der sich viele Persönlichkeiten befinden, die eine Art Unsterblichkeitsstatus besitzen. Er drückt sich in einer regelmäßig gepflegten Erinnerung an manche bekannte oder auch weniger bekannte Tote aus. Und in mittlerweile zwei Fällen sogar durch einen eigenen Ausstellungsort. Der erste befindet sich seit 2013 in der ehemaligen Trauerkapelle des Dreifaltigkeitsfriedhofs und ist der Familie Mendelssohn gewidmet. Deren berühmtester Vertreter, der Komponist Felix Mendelssohn-Bartholdy, ist ebenso dort begraben wie seine Schwester Fanny Hensel, auch sie eine Tonsetzerin und Pianistin, sowie 26 weitere Familienmitglieder. Die Mendelssohns waren Künstler, Bankiers oder Juristen. An dieser Dynastie spiegelt sich deutsche Geschichte, als Tiefpunkt ihre Verfolgung im Nationalsozialismus.

Die zweite Ausstellung gilt zu großen Teilen einer Person, die gar nicht dort zu finden ist: Carl Gotthard Langhans (1732-1808), der sich als Erbauer des Brandenburger Tors in der Berliner Historie verewigt hat. Heute erinnert in der Stadt wenig an ihn. Als 2008 sein 200. Todestag anstand, wurde das vor allem durch eine Ausstellung im Haus Schlesien in Königswinter am Rhein gewürdigt. Deren Exponate bilden den Grundstock für die Schau, die im Mausoleum Massute auf dem Friedhof zu sehen ist. Beziehungsweise derzeit erst einmal nicht. Denn nach der Eröffnung zum Tag des offenen Denkmals wurde sie wieder geschlossen. Der Grund: Es fehlt vor allem noch Geld für eine repräsentative Eingangstür. Die Berliner Langhans-Gesellschaft, die zusammen mit dem evangelischen Friedhofsverband Berlin Stadtmitte hinter diesem Projekt steht, versucht derzeit weitere Spenden aufzutreiben. Die letzte Ruhestätte von Carl Gotthard Langhans befindet sich in Breslau. Sein Sohn Carl Ferdinand (1781-1869), der ebenfalls als Baumeister wirkte, hat sein Grab dagegen in der Nähe des Mausoleums.

Architekten, Unternehmer, Schriftsteller

Bei den Friedhöfen am Halleschen Tor handelt es sich um die älteste Berliner Begräbnisstätte, auf der noch heute Beerdigungen stattfinden. Und so stehen die dort Bestatteten für die Stadtgeschichte von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Angefangen beim Architekten und Gartengestalter Georg Wenzelaus von Knobelsdorff (1699-1753) über den Arzt Albrecht von Graefe (1828-1870), Carl Heinrich von Siemens (1829-1906), Ernst und Richard Schering (1824-1889 beziehungsweise 1859-1942), deren Namen mit bedeutenden Industriebetrieben verbunden sind. Zu den bekannten Verstorbenen der jüngsten Vergangenheit gehören zum Beispiel der Maler Kurt Mühlenhaupt (1921-2006) oder die Filmregisseurin Helma Sanders-Brahms (1940-2014). Besonders stark vertreten sind Persönlichkeiten aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, dem Zeitalter der Romantik. Etwa der schreibende und komponierende Kammergerichtsrat E.T.A. Hoffmann (1776-1822). E.T.A. steht für Ernst Theodor Amadeus. Sein richtiger Name lautete allerdings Ernst Theodor Wilhelm. Deshalb befinden sich auf dem Grabstein auch die Initialen E.T.W. Amadeus hat sich Hoffmann selbst genannt, zur Erinnerung an sein musikalisches Vorbild Wolfgang Amadeus Mozart. Auch der Dichter und Naturforscher Adalbert von Chamisso (1781-1838), die Schriftstellerinnen und Salonbetreiberinnnen Henriette Herz (1764-1847) und Rahel Varnhagen von Ense (1771-1833) gehören neben vielen anderen zu dieser Epoche.

Und wer gerade in dämmrigen und nebligen Novembertagen über die Friedhöfe läuft, vorbei an mancher verfallener Gruft, die an ein verlassenes Burgverlies erinnert, bekommt ein Gefühl für das Romantisch-Sagenhafte. Mit wenig Phantasie lässt sich ausmalen, dass dort plötzlich Trolle und Elfen auftauchen, E.T.A. Hoffmann, wie einst in der Weinstube Lutter & Wegner am Gendarmenmarkt zu lustigem Gelage lädt. Deshalb kann Jörg Sundermeiers Überschrift auch so gelesen werden: Die Toten feiern sich hier selbst. Die Friedhöfe am Halleschen Tor sind im November, ebenso wie im Februar, täglich von 8 bis 17 Uhr geöffnet. Im Dezember und Januar lauten die Öffnungszeiten 8 bis 16 Uhr, März und Oktober 8 bis 18, April und September 8 bis 19, von Mai bis August, 8 bis 20 Uhr.

Das Buch von Jörg Sundermeier „11 Berliner Friedhöfe, die man gesehen haben muss, bevor man stirbt“ ist im be.bra-Verlag erschienen und kostet 16 Euro. Öffnungszeiten und Buch

Autor:

Thomas Frey aus Friedrichshain

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

50 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

WirtschaftAnzeige
Für weitere rund 180.000 Haushalte in Berlin baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom

Telekom baut Netz aus
Glasfaser-Internet hier im Bezirk

Ab Dezember starten die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes in Borsigwalde, Friedenau, Frohnau, Hakenfelde, Lichtenrade, Lübars, Mariendorf, Neu-Tempelhof, Reinickendorf, Schöneberg, Spandau, Tegel, Waidmannslust, Wilhelmstadt und Wittenau. Damit können weitere rund 180.000 Haushalte und Unternehmen in Berlin einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Bis 2030 plant...

  • Borsigwalde
  • 11.12.24
  • 2.615× gelesen
BauenAnzeige
2024 war Richtfest für die Grundschule in der Elsenstraße. | Foto: SenBJF
7 Bilder

Berliner Schulbauoffensive 2016-2024
Erfolgsgeschichte für unsere Stadt

Die Berliner Schulbauoffensive ist nach wie vor eines der zentralen Projekte unserer Stadt. Mit aktuell mehr als 44.000 neu entstandenen Schulplätzen setzt die Offensive ihre Ziele erfolgreich um. So wurden von 2016 bis 2023 bereits 5 Milliarden Euro in moderne Bildung investiert. Auch in den kommenden Jahren wird das derzeit größte Investitionsvorhaben für Schulen fortgesetzt. Die Offensive geht weiter und führt zu einer dauerhaft verbesserten schulischen Umgebung für unsere Schülerinnen und...

  • Charlottenburg
  • 13.12.24
  • 1.957× gelesen
  • 1
WirtschaftAnzeige
Für weitere rund 84.000 Haushalte in Berlin baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom

Telekom vernetzt
Glasfaser-Internet hier im Bezirk

Aktuell laufen die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes in Berlin auf Hochtouren. Neue Arbeiten starten nun auch in Alt-Hohenschönhausen, Fennpfuhl, Friedrichsfelde, Friedrichshain, Karlshorst, Kreuzberg, Lichtenberg und Rummelsburg. Damit können nun rund 84.000 Haushalte und Unternehmen einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Bis 2023 plant die Telekom insgesamt...

  • Alt-Hohenschönhausen
  • 11.12.24
  • 2.589× gelesen
KulturAnzeige
Blick in die Ausstellung über den Palast der Republik. | Foto: David von Becker
2 Bilder

Geschichte zum Anfassen
Die Ausstellung "Hin und weg" im Humboldt Forum

Im Humboldt Forum wird seit Mai die Sonderausstellung „Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart“ gezeigt. Auf rund 1.300 Quadratmetern erwacht die Geschichte des berühmten Palastes der Republik zum Leben – von seiner Errichtung in den 1970er-Jahren bis zu seinem Abriss 2008. Objekte aus dem Palast, wie Fragmente der Skulptur „Gläserne Blume“, das Gemälde „Die Rote Fahne“ von Willi Sitte, Zeichnungen und Fotos erzählen von der damaligen Zeit. Zahlreiche Audio- und Videointerviews geben...

  • Mitte
  • 08.11.24
  • 3.493× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.