Auf dass möglichst nicht so viele kommen
Abgespecktes MyFest soll Massenpublikum abschrecken
Auf der offiziellen Website werde das Bühnenprogramm nicht mehr angekündigt, sagt Halis Sömnez, Vorsitzender der Myfest-Crew. Auch die Städtevermarkter von "Visit.Berlin" sollen den Hinweis darauf von ihrer Homepage nehmen, waren sich so ziemlich alle einig.
Denn die Veranstaltung wird zwar auch in diesem Jahr am 1. Mai stattfinden. Aber es sollen weniger Besucher kommen.
Klingt paradox, denn eigentlich wünscht sich jeder Fetenorganisator möglichst viele Gäste. Beim traditionellen Maitreiben in SO36 ist das aber jetzt umgekehrt. Das Kiezfest, das zu einem Weltfest wurde, soll wieder zu einem Kiezfest werden, umschrieb Bürgermeisterin Monika Herrmann (Bündnis90/Grüne) bei einer Informationsveranstaltung am 6. März im Familiengarten die Veränderungen. Auch wenn sie gleich nachschickte, dass dieses Ziel im ersten Anlauf in diesem Jahr wahrscheinlich noch nicht vollständig erreicht werde.
Für Abschreckung soll nicht nur weniger oder am besten gar keine Reklame sorgen, sondern auch ein abgespecktes und gleichzeitig anders ausgerichtetes Angebot.
Nur noch vier Bühnen
Es gibt nur noch vier Bühnenstandorte. In den Hochzeiten des MyFestes waren es mehr als ein Dutzend. Dort sind auch nicht durchgehend, manchmal nicht einmal als Schwerpunkt, Musikdarbietungen zu erwarten. Vielmehr werden sich zwei politischen und gesellschaftlichen Fragen widmen. Einmal mit dem Fokus Wohnen, Mieten, Gentrifizierung. Refugees, Rassismus, Gleichberechtigung sind unter anderem Themen auf einer weiteren Bühne.
Klang und Tanz gibt es immerhin am Feuerwehrbrunnen, wo türkische, kurdische Organisationen, die alewitische Gemeinde und weitere gemeinsam ein Folkloreprogramm auf die Beine stellen. Das wird ebenfalls angereichert durch Wortbeiträge. Und nicht zu vergessen die HipHop-Stage, die den Veränderungen getrotzt hat. Außerdem gibt es für Kinder und Jugendliche verschiedene Angebote an der Waldemarstraße.
Bei den Ständen am Straßenrand sei bereits in den vergangenen Jahren mächtig reduziert wurden, sagt Halis Sömnez. Einst hätten rund 300 Anwohner Speisen und Getränke angeboten, jetzt werden es noch um die 100 sein. Wer sich für eine Verkaufsstelle bewerben möchte, muss das bis 28. März machen. Und alle Vorgaben beachten.
Mehr mobile Toiletten stehen in diesem Jahr ebenfalls bereit. Und das bei kürzeren Öffnungszeiten. Um 21 statt wie bisher 22 Uhr wird das MyFest beendet, bereits ab 20 Uhr die Musik herunter gedreht.
Anwohner beklagen Müll und Lärm
Die ganze Neuausrichtung basiert auf einer Ende vergangenen Jahres durchgeführten Befragung (wir berichteten). Ihr Ergebnis: Eine Mehrheit von rund 60 Prozent will die Fete weiter. Aber anders, nämlich kleiner, kiezbezogener, politischer. Und sowohl Befürworter als auch Gegner hätten oft in ähnlicher Größenordnung die Missstände beklagt, erklärte Sigmar Gude von der Mieterberatung Asum, die die Umfrage durchgeführt hat. Das waren vor allem Müll, Lärm, urinierende Festbesucher im Hausflur; insgesamt sei es zu voll.
Dem wird jetzt Rechnung getragen. Wobei bereits seit 2016 Veränderungen eingeleitet wurde. Seither läuft das Maitreiben unter dem Label "politische Versammlung". Je mehr aber im eigentlichen Terrain die Spaßbremse gezogen wird, umso mehr steuern einige Feierwütige andere Orte an. Dort eventuelle Exzesse am besten erst gar nicht aufkommen zu lassen, ist die Aufgabe von Polizei und Ordnungsamt.
Ursprung des Festes gerät in Vergessenheit
Der Ursprung des MyFestes scheint inzwischen ebenfalls etwas in den Hintergrund geraten zu sein. Es entstand 2003 als Antwort auf die alljährliche Krawalle am 1. Mai in SO36. Die Bewohner erobern sich an diesem Tag ihren Kiez zurück, war das Motto. Trotz einiger Rückschläge hat das mit der Zeit sehr gut funktioniert. Auch mit Hilfe vieler auswärtiger Gäste. Denn je mehr Menschen die Straßen bevölkerten, umso weniger Chancen hatten diejenigen, die auf Randale aus waren. Aber dieser Erfolg sorgte für andere Probleme.
An diese Vergangenheit erinnerte auch Halis Sömnez. Seither seien viele Menschen neu hinzugezogen, die die Vorgeschichte nicht mehr kennen. Sömnez wohnt, nach eigenen Angaben seit 48 Jahren, in der Oranienstraße. Er erinnerte daran, dass dort inzwischen nahezu jede Nacht Lärm und weitere Auswirkungen des nächtlichen Feierbetriebs zu beklagen seien. Ausgerechnet am 1. Mai, so könnte der Umkehrschluss lauten, wird es jetzt vielleicht relativ ruhig zugehen.
Insgesamt scheint das Thema MyFest vielen Nachbarn anscheinend nicht unbedingt auf den Nägeln zu brennen. Zumindest, wenn die Resonanz bei der Informationsveranstaltung dafür als Beleg herangezogen wird. Abzüglich der Verantwortlichen, neben der Bürgermeisterin und den Organisatoren auch die Polizei, sowie zahlreichen Medienvertretern, kamen nur etwa 20 Interessierte.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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