"Ohne uns baut hier niemand"
Nutzer protestieren gegen Pläne der Senatsfinanzverwaltung

Die Spitze des Protestzugs
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Der Protestzug war schon wegen seiner Lautstärke und mancher schwerer Wagen nicht zu übersehen und überhören. Die Transparente taten ein übriges. Neben bekannten Slogans wie "Wir bleiben alle" oder "Refugees welcome" stand auf einem Transparent auch "Ohne uns baut hier niemand". Das klingt entschieden, allerdings ist fraglich, ob sich das so durchsetzen lässt.

Organisiert hatten die Demo am 20. Juni durch den Reichenberger Kiez die Gewerbetreibenden des Areals Ratiborstraße 14. Ihr Protest richtete sich gegen den Berliner Senat, konkret die Senatsverwaltung für Finanzen. Die verfolgt auf ihrem Grundstück andere Ziele, als es den Nutzern vorschwebt. Nämlich den Bau von modularen Unterkünften, kurz MUF, für rund 250 Flüchtlinge. Gegen die neuen Nachbarn haben die bisher Ansässigen nichts einzuwenden. Aber nicht in dieser Größenordnung. Sie sehen dadurch auch ihre eigene Zukunft gefährdet.

Nach eigenen Angaben sind an der Ratibor 14 rund 30, meist kleine Handwerksbetriebe ansässig, ebenso wie eine Wagenburg und der Biergarten "Jockel". Das Gelände gehört bisher der bundesweigenen Immobilienverwaltung BImA.

Dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen gefordert

2017 geriet es in den Fokus, als der Senat den Bezirken auferlegte, jeweils zwei Flächen als MUF-Standorte für die Aufnahme von Flüchtlingen zu benennen. Auf jedem sollen bis zu 500 Menschen untergebracht werden. Friedrichshain-Kreuzberg benannte neben einem Grundstück an der Alten Jakob- und Franz-Künstler-Straße auch die Ratiborstraße 14. Warum die auf die Liste gekommen ist, dafür wollte danach niemand mehr so richtig verantwortlich sein. Es sei davon ausgegangen worden, dass über diesen Vorschlag noch einmal zu reden sei und nicht, dass er sofort festgeschrieben werde, lautete ein Erklärungsversuch. Der Senat nahm das Angebot allerdings dankend an.

Dagegen mobil machten die Gewerbetreibenden, von Anfang an verbunden mit der Prämisse: Flüchtlinge ja, aber weniger. Das führte zu einer Art partizipativem Prozess mit zahlreichen Akteuren auch aus der Landesebene und konkreten Ergebnissen. Die Unterkunftsplätze ließen sich auch dezentral erbringen, also verteilt auf mehrere weitere Standorte, kam als Vorschlag, der auch vom Bezirk unterstützt wurde. Einige Alternativplätze wurden konkret genannt, etwa am Dragonerareal, an der Friedrichstraße 18 oder im Zuge der Nachverdichtung in Friedrichshain-West. An der Ratiborstraße sollten nach diesen Plänen dann nur noch rund 150 Flüchtlinge unterkommen. Aus dieser Idee entstand, verbunden mit Entwicklungsmöglichkeiten für das Kleingewerbe sowie weiteren Nutzungen und unter Beteiligung vieler Stellen das "Modellprojekt für eine Kreuzberger Mischung". Statt in modularen Unterkünften sollten die neuen Bewohner in richtigen Wohnungen untergebracht werden.

Finanzverwaltung hat andere Pläne

Die ganze Konstruktion hatte allerdings von Anfang an einen Haken. Denn die für die künftige Grundstücksentwicklung federführende Senatsverwaltung für Finanzen beteiligte sich nicht an diesem Aushandlungssprozess. Genau gesagt, sie nahm nur ein Mal an einer Runde teil. Und es zeigte sich sehr schnell, dass dort andere Pläne verfolgt werden. Das Gelände soll an die Berlinovo Grundstücksentwicklungs GmbH (BGG) übertragen werden und dort die vorgesehenen MUFs mit aktuell avisierten 250 Plätzen entstehen. Und das möglichst zügig. Denn nur noch bis Jahresende gilt der sogenannte "Flüchtlingsparagraf" im Baugesetzbuch. Er erlaubt Ausnahmen im Baurecht, sprich weniger strenge Vorgaben, wenn für diesen Personenkreis Unterkünfte errichtet werden. Dazu kommt, dass die BImA angehalten ist, zu diesem Zweck Grundstücke an die Kommunen abzugeben. Das war wahrscheinlich auch ein Grund, warum die Ratiborstraße in die Liste aufgenommen wurde.

Als Leidtragende dieses Vorgehens sehen sich die bisherigen Nutzer. Deshalb der Protestzug, bei dem es zwar auch, aber nicht vordergründig um die eigene Situation ging. Eigene Interessen gegen Unterbringungsmöglichkeiten von Flüchtlingen auszuspielen, mit diesem Vorwurf ist die Ratibor 14 trotz mehrfachem Dementi immer wieder konfrontiert worden. Manche Bezirkspolitiker sahen auch dort das "St. Florians-Prinzip" am Werk. Will heißen: Flüchtlinge seien natürlich willkommen, aber nicht unbedingt in der eigenen Nachbarschaft.

Verkauf kurz vor Abschluss

Dem waren die Angegriffenen nicht nur mit dem Argument ihrer Aufnahmebereitschaft entgegen getreten. Aber mehrere hundert Neubürger an einem Ort zusammenzupferchen, fördere nicht unbedingt eine Integration. Erst recht wenn sie in MUFs unterkommen sollen. Die waren dann auch das zenrale Thema bei der Demo und wurden als "menschenunwürdig" bezeichnet. Es gebe dort keine Privat- und Intimsphäre, ein Wachschutz kontrolliere den Besuch. Und dass ein Flüchtlingsquartier dieser Art überhaupt noch gebraucht werde, wurde ebenfalls bezweifelt. An anderer Stelle stünden solche Unterkünfte leer. Was es dagegen brauche, wären anständige Wohnungen für alle. So wie von ihnen favorisiert. Zu errichten, nachdem das Areal per Erbbaurechtsvertrag an die Genossenschaft Ratibor 14 übergeben wurde.

Eine Forderung die ebenfalls ins Leere zu laufen scheint. Das Land Berlin gebe in der Regel keine eigenen oder in diesem Fall demnächst eigenen Grundstücke mehr ab, wird mit Hinweis auf die neue Liegenschaftspolitik deutlich gemacht. Stattdessen soll die Berlinovo zum Zug kommen, die nach Ansicht der Aktivisten zumindest kein lupenreines Landesunternehmen sei. Ebenso wird mangelnde Transparenz bei den Verkaufsgesprächen mit der BImA beklagt. Mit deren Abschluss ist anscheinend in Kürze zu rechnen. Auch das Einreichen eines Bauantrags wird noch für dieses Jahr erwartet. Der Ratibor 14 scheint nur noch der Protest zu bleiben.

Die Spitze des Protestzugs
Blick in das Grundstück Ratiborstraße 14.
Autor:

Thomas Frey aus Friedrichshain

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