Wenn Politik auf Jugend trifft: Bundestagskandidaten im Oberstufenzentrum
Kreuzberg. Die Wahlkreisbewerber absolvieren derzeit viele Diskussionsveranstaltungen. Zum Beispiel am 11. September im Oberstufenzentrum Konstruktionsbautechnik Hans-Böckler-Schule an der Lobeckstraße. Ein Termin, der aus mehreren Gründen interessant war.
Das Publikum: Rund 250 Schüler in der vollbesetzten Cafeteria. Fast ausschließlich junge Männer, was, allen Gender-Bemühungen zum Trotz, mit diesem Berufszweig zusammenhängt. Die meisten Teilnehmer seien über 18 und damit wahlberechtigt, erklärte Lehrer und Diskussionsleiter Thomas Schimitzeck. Das gelte auch für viele mit sogenanntem Migrationshintergrund, aber deutschem Pass.
Auf dem Podium: Erschienen waren mit einer Ausnahme alle eingeladenen Spitzenkandidaten: Cansel Kiziltepe (SPD), Pascal Meister (Linke), Timur Husein (CDU) und Athanasia Rousiamani-Goldthau (FDP). Nur Canan Bayram (Bündnis 90/Grüne) wurde durch die Listenbewerberin Laura Dornheim vertreten.
Die Themen: Wohnen und Mieten spielten eine wichtige Rolle, ebenso – naheliegend – Ausbildung und Beruf. Warum jemand bei Lidl an die Kasse besser bezahlt werde als in manchen Handwerksjobs, leuchtete einem Fragesteller nicht ein. Auch der öffentliche Nahverkehr und die Debatte um den Flughafen Tegel beschäftigte die Schüler. Laurens (20) meldete sich gleich zwei Mal mit seinem Spezialgebiet Lobbyismus zu Wort. Wie sehr sind die Parteien von solchen Einflüsterern abhängig?
Die Aussagen: Natürlich sah sich keiner am langen Arm von Interessenvertretern, eher dann die anderen. Meist ging es auch weniger um den Schlagabtausch mit der Konkurrenz, sondern um die eigenen Ansichten. Bei Mieten und Gentrifizierung verwies Laura Dornheim auf das Grüne-Wahlplakat "Die Häuser denen, die drin wohnen", das zuletzt in der eigenen Partei für Wirbel gesorgt hatte. Dieser Slogan der Hausbesetzerszene sei inzwischen überholt, meinte Cansel Kiziltepe. Denn im Bezirk wären bereits viele Menschen verdrängt worden. Eher, so meinte sie, müsste es heißen: "Die Häuser denen, die sie brauchen."
Änderungen im Mietrecht, mehr Sozialwohnungen schaffen und das mit dem Geld der Millionäre, postulierte Pascal Meiser. Timur Husein forderte ebenfalls weiteren Wohnungsbau, nicht nur im geförderten Bereich. Und für Athanasia Rousiamani-Goldthau stellt sich die Frage, welche landeseigenen Flächen dafür noch zur Verfügung stehen. Das alles übrigens ziemlich nachvollziehbar, also meist ohne Politsprech.
Die Stimmung: Erstaunlich für einen Saal mit so vielen Endpubertierenden: Der Geräuschpegel war unterproportional zur Masse der Zuhörer. Die meisten blieben während der 90 Minuten auf ihren Plätzen. Versammlungen mit älterem Publikum laufen oft weitaus wilder ab. Zwar gab es unterschiedlich große Sympathien für die Personen auf dem Podium, aber insgesamt bekamen alle mehr oder weniger starken Beifall und wurden fair behandelt.
Klare Kante: Was aber nicht bedeutet, dass es ein reiner Kuscheltermin war. Die Kandidaten sahen sich auch mit Ansichten konfrontiert, die ihren Widerspruch hervorrufen mussten. Speziell als ein Redner die Meinung vertrat, in Deutschland werde sich ja ohnehin nichts ändern, ganz anders als in der Türkei des Herrn Erdogan... Interessant war nach diesem Wortbeitrag zunächst die Reaktion der Schüler. Einige signalisierten Zustimmung, andere Ablehnung, wieder andere wirkten eher genervt. Die Replik der Politiker lautete in etwa: Erdogan eigne sich nun wirklich nicht als Kronzeuge für mögliche Probleme in Deutschland.
Der Weg zur Arbeit: Auch das Thema Flüchtlinge spielte eine Rolle. Ein junger Mann aus dieser Gruppe wollte wissen, wann er endlich arbeiten darf. Möglichst schnell, selbst wenn der Status noch nicht endgültig geklärt sei, hieß es nuanciert bei Grünen, Linken und SPD. Schon weil sich dadurch der Fach- oder Pflegekräftemangel vielleicht etwas auffangen ließe. Der CDU-Vertreter warnte allerdings vor zu schnellen Erwartungen. 30 Prozent der Menschen aus Syrien hätten keine Berufsausbildung. Entscheidend für die Integration sei das Erlernen der Sprache. Da waren sich alle einig.
Wählt mich!: Sie wolle sich für den Kiez einsetzen und dabei sollten alle mitmachen, erklärte Cansel Kiziltepe in ihrem Schlussstatement. Die Linken stünden für soziale Gerechtigkeit, Frieden und zum Beispiel einem Mindestlohn von zwölf Euro, meinte Pascal Meiser. Sicherheit, gute Wirtschaft, Schuldenabbau, Digitalisierung waren einige Stichworte im Plädoyer von Timur Husein. Die interaktive Zukunft ebenso wie Bildung nannte auch Athanasia Rousiamani-Goldthau. Und sie ermunterte die Jugendliche, sich Gedanken über eine berufliche Selbständigkeit zu machen. Für Laura Dornheim ist neben Mieten sowie dem Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung der Kilmaschutz besonders wichtig. Leider sei darüber nicht geredet worden.
Stimmen der Schüler:Laurens, der Experte für den Lobbyismus, fand die Veranstaltung interessant. Auch wenn von den anwesenden Parteienvertretern keiner seine Stimme bekommt. Die will er der eher wenig chancenreichen Formation "Demokratie in Bewegung" geben. Mazlum und Tasli (beide 19) waren ebenfalls mit dem Verlauf zufrieden. "Ich wollte eigentlich CDU wählen, aber vielleicht wechsle ich zur SPD", sagte Mazlum. Tasli muss dagegen noch überlegen, wie er sich entscheidet. tf
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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