Sänger inspiziert mit Behinderten das Nachbarschaftshaus
Dass dieser Ort ausgewählt wurde, lag an Raúl Krauthausen. Krauthausen, Rollstuhlfahrer und Mitbegründer des Vereins Sozialhelden, ist einer der drei Tester und muss am 22. September im Nachbarschaftshaus seine Stimme abgeben. Deshalb inspiziert er dieses Wahllokal sehr genau. Zum Haupteingang führt zwar nur eine steile Treppe, allerdings gibt es seit 2009 auch einen Aufzug, dessen Einstieg über den Garten zu erreichen ist. Raúl Krauthausen fährt mit dem Lift in die erste Etage. Die Gänge kann er mit seinem Rolli passieren. Auch die Türen zum Abstimmungszimmer sind breit genug. Hat die Urbanstraße also den Test bestanden?Für Rollstuhlfahrer kann man diese Frage einigermaßen mit Ja beantworten, auch wenn Raúl Krauthausen noch einige Anmerkungen hat. "Auf den Fahrstuhl wird zwar durch ein Schild hingewiesen, aber klar muss sein, dass die Tür zum Garten am Wahltag ständig geöffnet ist." Mehr Probleme hätten dagegen Blinde und Sehbehinderte, meint Michael Wahl, Journalist und Blindenfußballer. Es gebe hier einige Barrieren, etwa Unebenheiten. Und natürlich fehle auch ein durchgehendes Leitsystem.
Michael Wahl ist es außerdem wichtig, dass genügend Wahlzettel in Blindenschrift vorrätig sind. Und Petra Groß, weiteres Mitglied der Tester-Truppe, achtet besonders darauf, ob die Informationen in einer leicht verständlichen Sprache abgefasst werden. Das beginnt bei der Schriftgröße und endet bei der Möglichkeit eines Gebärdendolmetschers. Natürlich schauen die drei Experten auch darauf, ob es vermeidbare Hindernisse gibt, etwa verschlossene Türen. Ist das Wahllokal gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen, wie lang ist der Weg zur Wahlurne und wie gut ausgeschildert? Ihre Zielgruppe sind neben Geh-, Seh- oder Hörbehinderten auch Menschen mit Lernschwierigkeiten, Senioren sowie Familien, die mit einem Kinderwagen dorthin kommen.
Ihnen zur Seite steht Guildo Horn, dessen Aufgabe als Chauffeur nur unzureichend beschrieben ist. Der Sänger am Steuer soll natürlich für entsprechende Aufmerksamkeit sorgen, was bereits beim Auftakt in der Urbanstraße gut geklappt hat. Allerdings bringt der gelernte Diplom-Pädagoge auch eigene Erfahrungen mit. In seiner Talkshow "Guildo und Gäste" im SWR hat er regelmäßig Menschen mit Behinderungen zu Gast. "Ich habe mich gefreut, dass ich von der Aktion Mensch für diese Tour ausgewählt wurde", versicherte der Barde, der bürgerlich Horst Köhler heißt. In Deutschland gebe es mehr als elf Millionen potenzielle Wähler mit Handicap. "Sie alle müssen die Chance auf eine freie Wahl haben."
In Friedrichshain-Kreuzberg gelten 82 der 92 Wahllokale für die Bundestagswahl als barrierefrei. Diese Zahl antwortete der zuständige Stadtrat Knut Mildner-Spindler (Linke) vor Kurzem auf eine mündliche Anfrage der SPD-Bezirksverordneten Anita Leese-Hehmke. Wobei der Grad der Barrierefreiheit an den einzelnen Orten natürlich unterschiedlich ausfällt.
Aber was machen Behinderte, die in eines der übrigen zehn Wahllokale müssen? Zum Beispiel in die Fanny-Hensel-Grundschule in der Schöneberger Straße, die ebenerdig nicht zu erreichen ist? "Sie haben entweder die Möglichkeit per Brief abzustimmen oder können mit ihrem Wahlschein auch jedes andere Wahllokal im Wahlkreis aufsuchen", erklärt Bürgeramtsleiterin Sieglinde Pölitz. Die Briefwahl-Alternative dürfe aber auf keinen Fall zu einem Ausschlusskriterium werden, fordern die Tester und die Aktion Mensch. Jeder müsse die Möglichkeit haben, vor Ort seine Stimme abzugeben. Gleiches gelte für den Besuch von Parteiversammlungen.
Für ihren Barriere-Check begleiten Guildo Horn und seine Mitstreiter auch viele gute Wünsche aus der Politik. Vertreter mehrerer Parteien fanden sich in der Urbanstraße ein. Denn sie haben die Behinderten inzwischen als wichtiges Wählerpotenzial erkannt.
Dass es auf der Reise lustig zugeht, dafür will der Sänger sorgen. "Wir werden viel Spaß haben", versprach Guildo Horn. Zur Stärkung wurden vor dem Start Nussecken gereicht.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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