Obdach für 46 Männer feiert 20-jähriges Bestehen
Im Wohnheim in der Nostitzstraße werden Alkoholkranke betreut und versorgt
Seit 20 Jahren finden alkoholkranke, obdachlose Männer im Wohnheim Nostitzstraße in Kreuzberg ein Zuhause, in dem sie dauerhaft leben können und medizinisch versorgt werden. Am 27. Juli wurde nun das Jubiläum des von der Evangelischen Kirchengemeinde Heilig-Kreuz-Passion getragenen Projekts gefeiert.
In der Festrede richtete sich Heimleiter Ulrich Davids an die verantwortlichen Politiker im Bezirk und in der Senatsverwaltung. Er forderte eine dauerhafte Finanzierung, die mit den steigenden Personal- und Betriebskosten Schritt halten sollte: „Ohne finanzielle Absicherung lässt sich unsere Arbeit nicht dauerhaft aufrechterhalten. Mein Wunsch ist die vollständige Finanzierung unseres Wohnheims“, sagte der Sozialpädagoge, der das Wohnheim seit 2013 leitet. Derzeit fehlen dem Projekt jährlich rund 70.000 Euro, die durch Spenden und Gelder der Kirchengemeinde ausgeglichen werden müssen.
In der 1998 gegründeten Einrichtung leben 46 Männer in 38 Einzel- und vier Doppelzimmern auf vier Etagen. Die meisten der Bewohner sind nasse Alkoholiker, die jahrelang auf der Straße gelebt und mehrere gescheiterte Therapieversuche hinter sich haben. Viele leiden an weiteren Krankheiten und psychischen Einschränkungen und sind auf professionelle Pflege angewiesen, für die der Sozial- und Pflegedienst Südstern der Diakonie sorgt.
Bessere Lebenssituation für Alkoholkranke
Anders als in anderen Notunterkünften oder Obdachlosenheimen dürfen die Bewohner der Nostitzstraße weiterhin Alkohol trinken. Dabei handelt es sich um ein „suchtakzeptierendes Modell“, bei dem es nicht um Abstinenz geht, sondern um die Verbesserung der Lebenssituation der Alkoholkranken. Viele Obdachlose, die mit dem Trinken nicht aufhören können oder wollen, wären anders nicht von der Straße zu holen.
Der 52-jährige Karsten Normann hat sechseinhalb Jahre seines Lebens auf der Straße gelebt und ist einer der 46 Bewohner in der Nostitzstraße. Durch die Hilfe eines Streetworkers hat er vom Wohnheim erfahren. Inzwischen ist er nicht trocken, trinkt aber weniger Bier als früher. "Am dankbarsten bin ich, dass ich von der Straße weg bin. Hier fühlt man sich freier, man muss keine Flaschen sammeln", sagt der gebürtige Brandenburger. Die meisten Bewohner beziehen Hartz IV oder Rente, was ihnen zumindest ein bescheidenes Auskommen sichert. Viel von dem Geld wird auch für Alkohol ausgegeben.
Wenn ein Platz im Wohnheim frei wird, etwa weil Bewohner versterben oder es freiwillig verlassen, vermitteln Krankenhäuser oder Sozialämter obdachlose Männer an Ulrich Davids Einrichtung. Es gibt kein Rotationsprinzip oder Höchstaufenthaltsdauer, die Männer dürfen auf Dauer dort leben. „Nur wenige schaffen es in ein geregeltes Leben“, meint Marion Beckmann, die seit der Gründung des Heims dabei ist und als Hausmeisterin arbeitet.
Teil der Nachbarschaft geworden
Auch Polizist Hannaschke ist zur Feier in der Nostitzstraße gekommen. Er ist Vermittler zwischen den Heimbewohnern und den Anwohnern. "Bei Reibereien versuche ich, zu vermitteln und zu schlichten. Gegenüber befindet sich eine Schule, einige Eltern sehen das Wohnheim in unmittelbarer Nähe nicht gerne.“ Größere Konflikte gebe es nicht, sagt er. Das Wohnheim sei in den 20 Jahren seines Bestehens Teil der Nachbarschaft geworden.
Ulrich Davids, der drei Jahre lang als Jugend- und Schulstadtrat für die SPD in Mitte tätig war, bekräftigt am Rande der Veranstaltung seine politische Botschaft: Es werde zu wenig von dem umgesetzt, was im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag zum Thema Obdachlosigkeit und Wohnungslosenhilfe steht. Zudem brauche es bedarfsorientierte Angebote für alle Menschen, die auf der Straße wohnen, darunter nicht nur Männer, sondern immer häufiger auch Frauen, Kinder und Jugendliche, Familien und EU-Ausländer, die keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben.
Auf die Frage, ob es die Einrichtung in der Nostitzstraße auch in 20 Jahren noch geben wird, reagiert Davids zurückhaltend. Auch im Interesse der Heimbewohner gelte es die Hoffnung nicht zu verlieren. „Und die Hoffnung stirbt ja zuletzt.“
Autor:Norman Prange aus Friedrichshain-Kreuzberg |
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