Ein Besuch bei den Pfadfindern
Kolibris mit Halstuch
Für die meisten Kolibris war es ihr erstes Zeltlager. Es fand in der Nähe von Rheinsberg statt. Rund 1000 Pfadfinder trafen sich dort über Pfingsten.
Auch die Kolibris gehören zu dieser Vereinigung, ganz genau zum Kreuzberger Stamm "Fredy Hirsch". Fredy Hirsch (1916-1944), Jude und homosexuell, wurde im Vernichtungslager Auschwitz ermordet. Die Kinder und Jugendlichen hätten sich mehrheitlich für ihn als Namensgeber entschieden, sagt Stammleiter Simon Dürsch. Denn Fredy Hirsch war Pfadfinder.
Dass das Pfadfinderwesen auch in Kreuzberg ansässig und sehr aktiv ist, gehört zumindest nicht zu den Allgemeinkenntnissen über diesen Ortsteil. Die Fredy-Hirsch-Gruppen existieren auch erst seit einem Jahr, haben aber inzwischen, laut Simon Dürsch, bereits um die 60 Mitglieder. 13 sind es bei den Kolibris, bei denen Kinder zwischen zehn und 13 Jahren mitmachen. Andere Stämme gibt es schon länger. Etwa die "Bonis", die sich nach ihrem Treffpunkt in der katholischen St. Bonifatius-Gemeinde in der Yorckstraße benannt haben. Auch "Fredy Hirsch" nutzt Kirchenräume, in diesem Fall die der evangelischen Melanchthon-Gemeinde am Planufer. Die lokale Anbindung bedeute aber nicht, dass es sich bei den Pfadfindern um einen christlichen Verein handle, betont Simon Dürsch. Vielmehr seien Gläubige aller Richtungen und auch Nicht-Gläubige willkommen. Die weltweite Pfadfinderbewegung unterstreiche das. Sie sei zum Beispiel sehr stark in Israel oder, was wenige wüssten, in der Türkei. Auch zu den Kolibris gehört ein türkischer Junge.
Gegründet wurde sie von dem britischen Offizier Robert Baden-Powell, der 1907 das erste Pfadfinderlager veranstaltete. Schutz der Umwelt, Mitmenschlichkeit, Frieden sind einige Postulate. Treffen, wie das in Brandenburg, dienen auch dazu, die Natur kennenzulernen und mit vorhandenen Ressourcen pfleglich umzugehen. Er habe dort jemand beobachtet, der Müll einfach achtlos weggeschmissen habe, erzählt ein Kolibri-Mitglied bei der Nachlese. "Verpetzt" habe er den Übeltäter aber nicht, sondern ihn zur Rede gestellt.
Auch die Kreuzberger Ableger sind gerade im Sommer häufig im Freien. Dabei wird dann unter anderem der schnelle Aufbau von Zelten geübt. Jetzt auch mit einer Jurte, die Simon Dürsch seinen Schützlingen als neuesten Besitz präsentieren konnte. Er hat sie von seinem einstigen Pfadfinderstamm in Ingelheim am Rhein geschenkt bekommen. "Dass Ingelheim und Kreuzberg auch Partnerstädte sind, passt gut ins Bild."
Wofür sich Pfadfinder einsetzen wollen, findet sich auch in dem Schwur für die Neumitglieder. Die meisten Kolibris haben ihn während des Pfingstlagers abgeleistet und tragen als äußeres Erkennungsmerkmal jetzt ein Halstuch.
Rituale, die für eine Exklusivität stehen können. Für Simon Dürsch sind sie ein Zeichen von Gemeinschaft. Und das weit über den eigenen Stamm hinaus. "Du findest fast überall in der Welt Pfadfinder. Einige kennst du sogar persönlich von irgendwelchen Treffen. Sie werden dir immer helfen", sagt Sophia (16) vom Boni-Stamm. Ein internationales Netzwerk, das friedliches Miteinander jenseits aller Konflikte propagiert, so vielleicht die Sicht der Pfadfinder auf sich selbst zusammengefasst.
Simon Dürsch leistet dafür die Basisarbeit. Im Hauptberuf ist er Student und Sozialarbeiter. Seine Freizeit gehört den Pfadfindern. Er gibt die Linie vor, fördert und fordert gleichzeitig eigene Meinung. Manchmal spielerisch, wie bei den Kolibris. Die sollen das Pfingstlager nach verschiedenen Kriterien bewerten. Zwei Stühle sind dabei jeweils an den Seiten des Raums aufgebaut. Der Grüne steht für "ganz toll", der schwarze für "absolut besch...eiden". Dazwischen genügend Raum für "so lala", nach jeweiligen Standort eher positiv oder negativ.
Die Kinder sollen aber nicht nur eine Position einnehmen, sondern sie danach begründen. Warum fand jemand das Essen nicht besonders schmackhaft, andere dagegen ganz gut? Was gab es an der An- oder Rückreise auszusetzen? "Wir sind immerhin im Sonderzug erste Klasse gefahren", vermerkt Simon Dürsch. Wie wurde das Camp insgesamt bewertet? Was nicht nur dabei auffällt, ist das Selbstbewusstsein und das Einstehen für die eigene Meinung bei den meisten. Auch bei der Frage, warum sie Pfadfinder geworden sind. Ein Junge erzählt davon, dass sein Vater bereits der Gemeinschaft angehörte. Ein anderer, dass seine Mutter der Ansicht war, die Gruppe würde ihm guttun. Denn er sei oft ziemlich laut und fordernd. Zwei Mädchen finden den Zusammenhalt toll. Fehlt jemand, wird zu Beginn gefragt, warum die oder der heute nicht gekommen ist. Manche ihrer Mitschüler fänden Pfadfinder eher uncool, erzählen einige. Was ihnen aber nichts ausmache. Denn wer so denke, dem würde etwas entgehen.
Eher ist es aber so, dass immer mehr Kinder neugierig geworden sind. Inzwischen würden bereits mehr als ein Dutzend Interessenten auf einer Warteliste stehen, sagt Simon Dürsch. Dabei handelt es sich vorwiegend um die Altersgruppe der Kolibris und jünger. Deshalb bräuchte er auch noch mehr Jugendliche und junge Erwachsene ab 16 Jahre, die als Gruppenleiter oder Helfer eingesetzt werden könnten. Wer dazu Lust hat, kann sich unter der Telefonnummer 0176 24 00 91 69 oder über www.facebook.com/vcpxberg melden.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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