Zwischen Ärger und Engagement: Am Mehringplatz wurde neuer Quartiersrat gewählt
Margit Boé verkörpert die Opposition. Sie kandidiere für den Quartiersrat, weil sie wissen möchte, was mit den 4,2 Millionen Euro passiert sei, die es bisher für das Gebiet gegeben habe, sagte die Anwohnerin.
Welchen Rückhalt Margot Boé bei anderen Nachbarn hat, war deshalb eine spannende Frage am Abend des 27. November in der Kiezstube am Mehringplatz. Sie war der Ort für die Abstimmung nicht nur über die Quartiersvertreter, sondern auch über die Aktionsfondsjury. Letztere kann über 10 000 Euro im Jahr für kleinere Initiativen und Aktionen verfügen.
Es gibt in Kreuzberg fünf Quartiersmanagementgebiete (siehe Kasten). Eines davon ist der Mehringplatz. Die Idee entstand Anfang der 2000er–Jahre. Gegenden mit mehr oder weniger großen Problemen sollen besonders gefördert und gestärkt werden. Etwa in Form von Bildungs- oder Freizeitangeboten, baulichen Veränderungen, Pflanzaktionen, Kulturveranstaltungen und ein stärkeres Aktivieren der Bevölkerung. Kontrolliert werden sollen die Aktivitäten durch den Quartiersrat. Dort sitzen neben den Vertretern von Senat und Bezirk, Unternehmen und Interessenvertretern auch Repräsentanten der Bewohner.
Die Wahlen ließen auf eine relativ große Resonanz schließen. Die Kiezstube war brechend voll. 108 Stimmzettel landeten in der Urne, von denen 105 gültig waren. Wobei diese Zahl in das Verhältnis gesetzt werden muss zu den mehr als 5000 Menschen, in dem Kiez leben. Aber der Abend zeigte: Es gibt einige, die sich teilweise schon seit Jahren engagieren und die schon deshalb einigermaßen bekannt sind. Insgesamt ergaben die Bewerber zumindest ansatzweise ein Spiegelbild der Bevölkerungsstruktur: Junge und Alte, Frauen und Männer, ohne und mit sogenanntem Migrationshintergrund. Interessant war außerdem die Bandbreite der bisherigen Verweildauer am Mehringplatz. Sie reichte von 47 Jahre bis vor kurzem erst zugezogen.
Kritik: Es wird zu wenig getan
Margit Boé wohnt dort seit zwölf Jahren. Sie ärgert sich schon länger über die nach ihrer Meinung viele beklagenswerte Zustände im Gebiet: von Müll- und Dreckecken bis zur Dauerbaustelle. Mängel, die sie, ebenso wie einige Mitstreiter, immer wieder öffentlich macht. Ganz besonders hat sie es auf das Quartiersmanagement (QM) abgesehen. Dort werde zu wenig gegen die Missstände gemacht, so ihre Klage, gipfelnd in ihrer Forderung nach detaillierter Auskunft über die bisher ins Gebiet geflossenen 4,2 Millionen. Davon seien nur 46 Prozent für Projekte, aber 54 Prozent für die Verwaltung ausgegeben worden, hatte sie bei einer Einwohneranfrage in der BVV behauptet.
Spezieller Anlass für nicht nur ihren Unmut ist der sogenannte „Pfad der Visionäre“, jenes Kunstprojekt zwischen Mehringplatz und Franz-Klühs-Straße, bei dem Aussagen von berühmten Persönlichkeiten vor allem aus den Staaten der Europäischen Union auf Quaderplatten im Straßenland zu lesen waren. Derzeit ist der Pfad wegen der Bauarbeiten am U-Bahntunnel abgeräumt. Über seine Zukunft wird gestritten. Trotz eines negativen Votums der Kommission Kunst im öffentlichen Raum und einer Unterschriftenaktion der Bürger soll es dafür noch 130 000 Euro öffentliche Mittel geben, kritisierte Margit Boé. Der Antrag für eine Verkehrsinsel vor der Galilei-Schule sei dagegen abgelehnt worden.
16 Bewerber in den Quartiersrat gewählt
Dass die Frau polarisiert, zeigte sich bei Gesprächen am Wahlabend. Die einen werfen ihr vor, dass sie die Gegend schlecht rede und verweisen darauf, dass schon eine Menge passiere. Außerdem wäre an vielen Problemen nicht allein das Quartiersmanagement schuld. Andere finden wiederum, dass die Kritikerin zu Recht auf manche Defizite hinweise. Selbst wenn man nicht immer damit einverstanden sein müsse, wie sie das mache. Solche Einschätzungen spiegelten sich im Wahlergebnis wider. Denn Margit Boé erhielt die beste Stimmenzahl aller Bewerber, nämlich 61.
Von den 18 Kandidaten schafften 16 den Sprung in den Quartiersrat. Voraussetzung dafür war, dass ihre Namen auf mindestens 20 Prozent der abgegebenen Stimmzettel mit Ja angekreuzt waren. Bei Bewerbern, die jemand nicht wählen wollte, reichte es, sie einfach nicht zu kennzeichnen. Ein Abstimmungsberechtigter wollte aber ganz sicher gehen. Den Namen Margit Boé habe er dick durchgestrichen, verkündete der Mann während der Auszählung. Genützt hat es nichts.
Hintergrund
Alle fünf Quartiermanagementgebiete, die es im Bezirk gibt, liegen in Kreuzberg. Im einzelnen sind das: Mehringplatz, Wassertorplatz, das Zentrum Kreuzberg/Oranienstraße, der Mariannenplatz sowie die Düttmann-Siedlung. Sie sind sowohl flächen- als auch bevölkerungsmäßig unterschiedlich groß. Die meisten Einwohner mit mehr als 10 000 hat der Wassertorplatz, die wenigsten, knapp 3000, die Düttmann-Siedlung. In jedem Gebiet werden unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt. Mal stehen Bildungsangebote im Vordergrund, an anderer Stelle mehr Grünanlagen oder Freizeitstätten. Auch Umbauten oder Sanierung von Schulen, Spiel- oder Bolzplätzen spielt eine wichtige Rolle.
Was in den einzelnen QM-Gebieten in den kommenden Jahren passieren soll, wurde jetzt im Integrierten Handlungs- und Entwicklungskonzept 2017-2019 (IHEK) zusammen gefasst, das das Bezirksamt am 28. November vorstellte. Gleichzeitig übernehmen Bürgermeisterin Monika Herrmann (Bündnis 90/Grüne) sowie die vier Stadträtinnen und Stadträte jeweils die Patenschaft für ein Quartiersgebiet. Paten für QM-Gebiete
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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