Wenn die Kugel Geräusche macht: Blindenfußball ist ungewöhnlich und faszinierend
Kreuzberg. "Das Ding geben wir nicht mehr her", feuert Alexander Fangmann seine Mitspieler an. Dabei war die Partie zu diesem Zeitpunkt erst etwa zehn Minuten alt.
Und dass es noch bis zum nächsten Nachmittag dauern sollte, bis "das Ding", sprich ein Sieg seines Teams, feststand, konnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen.
Alexander Fangmann ist der Kapitän der deutschen Blindenfußball-Nationalmannschaft. Er sorgte auch für das zweite Tor seines Teams beim 2:0-Sieg gegen Italien im Eröffnungsspiel der Europameisterschaft in dieser Sportart, die vom 18. bis 26. August auf dem Lilli-Henoch-Sportplatz am Anhalter Bahnhof ausgetragen wird. Wegen eines Unwetters musste diese Partie etwa fünf Minuten vor der Halbzeit abgebrochen werden und wurde am folgenden Tag fortgesetzt. Ihre beiden Treffer hatten die Deutschen bereits in der Anfangsphase und damit vor dieser Zwangspause erzielt. Was auch die frühe optimistische Anfeuerung von Alexander Fangmann erklärt.
Dass der Kapitän und seine Kollegen hoch motiviert in diese EM gingen, zeigte sich nicht nur bei der witterungsbedingt erschwerten Premiere. Auch beim zweiten Spiel am 20. August bot das Team eine ansprechende Leistung, zeigte aber Mängel in der Chancenverwertung und verlor mit 1:2 gegen Frankreich. Wiedergutmachung gab es dann wieder nur einen Tag später durch ein 4:1 gegen Rumänien.
Gerade der schwarz-rot-goldenen Formation ist anzumerken, dass sie den Heimvorteil als Plattform und Werbung für ihren Sport nutzen möchte. Gleiches gilt für den Behinderten- und Rehabilitationssportverband Berlin als Veranstalter der Europameisterschaft. Er organisierte auch eine stimmungsvollen Eröffnungsfeier einschließlich eines an Olympia erinnernden Einmarschs der zehn teilnehmenden Nationen und Auftritts des blinden Gesangstars Joana Zimmer. Dass die über 2000 Zuschauer fassenden extra aufgebauten Tribünen auf dem Lilli-Henoch-Sportplatz bei der Premiere nahezu voll besetzt waren, rundete das Bild ab. Ein Interesse, dass die meisten Aktiven zwar nicht erblicken, aber natürlich wahrnehmen konnten.
Auch beim Blindenfußball gilt vor allem: Das Runde muss ins Eckige, also der Ball ins Tor. Auch wenn einige Regularien vom sonstigen Kicksport abweichen. Als einziges Teammitglied kann der Torwart sehen. Er hat deshalb die Aufgabe, seine Kameraden immer wieder anzuleiten. Auch die beiden Banden an den Längsseiten des 40 Mal 20 Meter großen Platzes markieren Orientierungspunkte für die Kicker. Besonders ist außerdem der Ball, der durch eingebaute Rasseln ein Geräusch von sich gibt. Außerdem ist vorgeschrieben, dass sich die Spieler mit dem spanischen Ruf "Voy", übersetzt "Ich gehe", bemerkbar machen. Und schließlich steht noch hinter jedem Tor ein Rufer, der ebenfalls Signale gibt. Bei Freistößen zeigt er beispielsweise durch Klopfen auf die Torstangen in welcher Entfernung und Winkel sie sich vom Schützen entfernt befinden.
Um die akustische Orientierung sicherzustellen, werden die Zuschauer gebeten, sich während der Partie möglichst ruhig zu verhalten. Umso mehr, auch dazu wurde häufig animiert, soll aber nach einem Tor und erst recht nach dem Ende gejubelt werden.
Die Spieldauer beträgt zwei mal 20 Minuten. Weil aber bei Unterbrechungen die Uhr angehalten wird, kann es manchmal fast doppelt so lange dauern, bis zur Pause beziehungsweise zum Spielschluss abgepfiffen wird.
Langweilig wird es aber selbst mit solchen Stopps selten. Vielmehr ist es interessant zu beobachten, wie sich die Kicker auf eine neue Situation einstellen. Wie manchmal ein Kombinationsspiel aufgezogen wird, obwohl der Mitspieler allenfalls erahnt werden kann – gerade bei gekonnten Pässen wird das schnell vergessen. Wie selbst ein sehender Torwart oft keine Chance gegen den gezielten Abschluss eines blinden Angreifers hat.
Es gibt unter den zehn EM-Teilnehmern einige Favoriten und manche Mitläufer. Hoch gehandelt wird die Türkei als amtierender Europameister. Das Team gewann zum Auftakt gegen Belgien mit 7:0 und fertigte Georgien mit 9:2 ab. Zwischen diesen beiden Kantersiegen gab es allerdings eine 1:2-Niederlage gegen Russland. England entwickelte sich nach den ersten Ergebnissen zum Geheimfavoriten. 6:0 wurde Rumänien besiegt, 7:0 hieß es gegen Frankreich.
Gegen die Engländer muss die deutsche Mannschaft am 23. August zum vielleicht entscheidenden Spiel um den Einzug ins Halbfinale antreten. Beginn ist um 17 Uhr. Die Vorschlussrunde wird dann am 24. August, das Endspiel am 26. August um 19.30 Uhr ausgetragen. Das Finale, sagte Alexander Fangmann schon im Vorfeld, wolle er nicht von der Tribüne aus verfolgen. tf
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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