Wenn die Legenden angreifen: In Kreuzberg hat sich ein Verein für eSport gegründet
Kreuzberg. An den Computern herrscht volle Konzentration. Fast reflexartig werden die Klicks gesetzt. Motivations- oder Frustvokabeln begleiten die Aktionen.
Im Einsatz sind hier die Aktiven des 1. Berliner eSport-Clubs. Er wurde Ende 2016 in Kreuzberg gegründet – als wahrscheinlich erster Verein in der Stadt, der den Wettbewerb bei interaktiven Spielen als Mannschaftssportart anbietet. "Zumindest kenne ich bisher keinen anderen", sagt Vorstandsmitglied Hans Jagnow.
eSport selbst ist keine neue Erfindung, sondern wird von vielen, vor allem Jugendlichen, betrieben. Meist sind das aber Einzelkämpfer. Der neue Club will ihnen eine gemeinsame, auch analoge, Plattform bieten. Außerdem geht es darum, die eigenen Fähigkeiten zu verbessern. Und es soll ein bundesweiter Spielbetrieb entstehen. Deshalb hat das Projekt für Hans Jagnow auch eine soziale und gesellschaftliche Bedeutung. Der 28-Jährige gehörte bereits als einstiger Mitarbeiter der Piratenfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus zu den Geburtshelfern einer organisierten eSport-Bewegung.
Pate hätten dabei natürlich auch manche Klischees gestanden. Etwa über Nerds, die neben Daddeln nur noch wenig anderes im Leben kennen. Das sei zwar manchmal zugespitzt, aber nicht völlig von der Hand zu weisen. Deshalb sorge das Clubleben auch für zwischenmenschliche Kontakte. Und selbst manche Spielleidenschaft könne so kanalisiert werden.
Training in Taktik und Angriffskunst
Jeden Sonntag gibt es ein vierstündiges Training, zu dem sich inzwischen bis zu 20 Teilnehmer einfinden. Etwa halb so viele sind es an diesem Nachmittag. Fünf von ihnen treten zum ersten "League of Legends"-Aufeinandertreffen mit Gegnern aus dem World Wide Web an. Bei diesem Spiel muss die eigene Truppe auf verschiedenen Wegen versuchen, in das Lager der Gegner zu kommen. Damit das gelingt sind Taktik und abgestimmtes Vorgehen wichtig. Jeder Spieler muss nicht nur seine Figur im Griff haben, sondern ebenso darauf achten, was andere Vertreter seiner Mannschaft gerade machen.
Damit das alle möglichst schnell verinnerlichen, sind beim eSport-Club auch zwei Trainer aktiv. An diesem Nachmittag coacht Max Brückmann. Der 21-jährige Student verfolgt das Geschehen zunächst über einen großen Monitor, wo er beobachtet, wie sein Team dieses Game verliert. Danach folgt die Manöverkritik. Einige Angriffe seien zu früh gestartet worden, bemängelt der Trainer. Gespickt werden seine Ausführungen mit Fachausdrücken, die anscheinend zur Legendenliga gehören. So ist zum Beispiel von "Level two" die Rede. Das steht für eine von insgesamt drei Ebenen, auf denen der Vormarsch stattfinden muss.
Betrachtet man die Aktiven, erfüllen sie meist das gängige Bild, das sich viele von Hardcore-Vertetern der Online-Gemeinde machen. Die meisten sind noch ziemlich jung, hier zwischen 18 und Mitte 20. Kapuzenpulli oder ähnliche Kleidungsstücke dominieren. Und unter ihnen ist nur eine Frau. Außer ihr gebe es aber noch zwei weitere Geschlechtsgenossinnen, die häufig zum Training kommen, sagt Caroline Tupikowski (21). Aber zugegeben, ihr Anteil könnte höher sein. Wahrscheinlich würden manche durch Erfahrungen abgeschreckt, die sie im Internet gemacht haben. Dort herrscht bisweilen ein rauer Ton und weibliche Spielerinnen werden nicht selten mit blöder Anmache konfrontiert.
Geistige statt körperliche Fitness
Für Hans Jagnow ist das ein weiteres Argument, durch den Verein möglichst viele Leute aus ihrer Daddelanonymität zu holen. Gerade um weitere Frauen wolle sich der eSport-Club besonders bemühen. Gleiches gelte für Zuwanderer, Menschen mit einem Handicap oder Jugendliche. Das Schöne bei Computergames sei ja, dass sie fast jeder spielen könne.
Den Verein bekannter machen, neue Mitglieder und auch Sponsoren werben, eigene Räume finden, weitere Schritte in Richtung einer Meisterschaft in die Wege leiten, der Vorstand und seine Kollegen haben sich einiges vorgenommen. Außerdem wollen sie ihre Disziplin in den organisierten Sport einreihen. Aber bisher zeigen ihnen sowohl der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB), als auch der Landessportbund Berlin (LSB) die kalte Schulter. Begründet wird das damit, dass eine körperbetonten Leistung fehlt, die als Maßstab gilt.
Auf ewig gelte das sicher nicht, meint Hans Jagnow. Auch der Motorsport sei wegen dieser Definition lange ausgeschlossen gewesen, und das habe sich inzwischen geändert. Und mit den Rennfahrern lasse sich eSport ganz gut vergleichen, denn bei beiden gehe es um Reaktionsschnelligkeit und damit geistige Fitness.
Vor allem handle es sich um eine Generationenfrage. "Schon jüngere Vertreter im Landessportbund sehen das etwas anders". Denn sie hätten begriffen, welches Potential, gerade auch in Richtung Nachwuchs, in diesem Angebot stecke, so Jagow. tf
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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