"Kein Grillen und auch kein FKK"
Tillmann Wagner wünscht sich für die Friedhöfe mehr Respekt

Für Tillmann Wagner sind Friedhöfe Orte des Gedenkens. Auch wenn sie sich verändert haben, sagt der Landschaftsarchitekt. | Foto:  Kiefert
  • Für Tillmann Wagner sind Friedhöfe Orte des Gedenkens. Auch wenn sie sich verändert haben, sagt der Landschaftsarchitekt.
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Party, Sport und Yoga zwischen Gräbern: Ist der traditionelle Friedhof aus der Mode gekommen? „Nein“, sagt Tillmann Wagner vom Evangelischen Friedhofsverband Berlin Stadtmitte und wünscht sich „mehr Respekt“.

Auf vielen Friedhöfen herrscht in der Corona-Zeit offenbar alles andere als Totenruhe. Jogger drehen ihre Runden, Kita-Kinder spielen im Kompost, junge Leute feiern Party mit Bier und Pizza, und an Grabsteinen dehnen Freizeitsportler ihre Muskeln. Tillmann Wagner hat das alles erlebt – und noch so einiges mehr. Yoga-Gruppen und Schattenboxer. „Selbst vor FKK-Sonnenbaden und Pornodrehs schrecken manche Leute nicht zurück.“ Ungläubig schüttelt der 40-Jährige den Kopf. „Friedhöfe haben sich verändert, ja“, sagt Wagner. „Aber hier hört die Toleranz auf. Da fehlt mir der Respekt.“

Tillmann Wagner ist Geschäftsführer des Evangelischen Friedhofsverbandes Berlin Stadtmitte und verantwortet 46 evangelische Friedhöfe in Berlin. Dazu gehört der Alte Luisenstädtische Friedhof am Südstern in Kreuzberg, wo Wagner sein Büro hat. Aber auch Totenacker in Mitte wie der Dorotheenstädtische Friedhof, St. Johannis in Tiergarten und Wedding oder der Georgen-Parochial-Friedhof in Friedrichshain und Prenzlauer Berg. „Berlin hat eine einzigartige Friedhofslandschaft, die es woanders nicht gibt“, sagt Tillmann Wagner. Historisch gewachsen, viele mitten in der Stadt, denkmalgeschützt. Für Wagner sind Friedhöfe Kulturarchive, Orte der Ruhe und des stillen Gedenkens, aber auch grüne Lunge. „Hier kann man spazieren gehen, auf Stühlen sitzen, ein Buch lesen. Aber für alles andere haben wir öffentliche Parks und Freizeitflächen wie die Hasenheide oder das Tempelhofer Feld.“

90 Prozent Urnenbeisetzungen

Blumen gießen, eine Kerze anzünden, beten oder einfach nur ein paar Worte zum Grabstein sprechen. So wollen die meisten ihren Toten nah sei, so ist es seit Jahrhunderten üblich bei uns. Und dennoch, die Zeiten haben sich geändert. Der klassische Friedhof mit seinen Familiengräbern, alten Traditionen und dem Gräberkult droht auszusterben. Denn während der Wohnraum für die Lebenden immer knapper wird, ist für die Toten auf vielen Friedhöfen reichlich Platz. Das liegt daran, dass es immer weniger Erdbestattungen gibt. Der Trend geht hin zur Urne. Das sei zwar schon seit 20 Jahren so, sagt Wagner. „Aber mittlerweile sind über 90 Prozent der Bestattungen auf unseren Friedhöfen Urnenbeisetzungen.“ Warum? „Weil diese Beisetzung preiswerter, die Friedhofsgebühren günstiger und die Grabpflege leichter ist.“ Darum entscheiden sich auch immer mehr Berliner für Urnengemeinschaftsgräber. Um die muss man sich gar nicht kümmern, hier übernimmt das Friedhofspersonal die Pflege.

Alternativ wird die Asche im Ruhewald begraben. Wovon Wagner nicht viel hält. „Baumgräber im Friedwald sind sicher wildromantisch. Doch dem Baum tut man damit nichts Gutes.“ Denn die Asche enthält Kalzium und Phosphor, Arsen und Blei. Klimaneutral ist auch das Verbrennen nicht. „Der Stromverbrauch ist hoch, und der Filter muss als Sondermüll entsorgt werden.“ Besser wäre, sich im einfachen Kiefernsarg und Baumwollhemd begraben zu lassen, sagt Wagner. Das schont die Umwelt – und füllt die Friedhöfe.

Eine halbe Million Euro für die Grünpflege

Sie zu betreiben, ist nicht gerade billig. Allein für die Baumpflege auf seinen 236 Hektar großen Friedhofsflächen gibt der Evangelische Friedhofsverband Berlin Stadtmitte im Jahr zwischen 300 000 bis 500 000 Euro aus. Anders als städtische Friedhöfe bekommen private Friedhöfe keine Grünflächenpauschale von den Bezirken. „Obwohl wir mit der Friedhofspflege eine städtische Aufgabe übernehmen“, sagt Tillmann Wagner. Beim Bund hatte der Verband 47 Millionen Euro für die nächsten zehn Jahre beantragt, das macht 470 000 Euro pro Jahr. „Die Hälfte davon hat uns der Bund bewilligt, die andere Hälfte sollte das Land Berlin finanzieren. Doch dann kam Corona, und seitdem haben wir vom Senat nichts mehr gehört.“

Für den Geschäftsführer wäre die Finanzspritze eine echte Chance, rund 130 Hektar reines Friedhofsgrün für die Zukunft zu sichern. Dazu wollen die vielen Freiflächen gepflegt und unterhalten werden. Auf einigen dieser leeren Friedhofsflächen haben Tillmann Wagner und seine Mitarbeiter sinnvolle Nachnutzungen angestoßen. Zum Beispiel auf dem Neuen St. Jacobi Friedhof in Neukölln, wo das Prinzessinnengarten-Kollektiv Urban Gardening betreibt. Auch Baumlehrpfade auf stark bewaldeten Friedhöfen kann sich Wagner vorstellen. „Aber kein Grillen und auch kein FKK.“

Autor:

Ulrike Kiefert aus Mitte

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