Neues Leben im Geisterbahnhof
Fahrgastverband will nie genutzten Bahnsteig am Moritzplatz zum S-Bahn-Halt umgestalten
Die Anlagen werden regelmäßig kontrolliert, teilt die BVG mit. Auch eine notwendige Sanierung sei geplant, danach eine Nutzung als Betriebs- sowie Technikräume angedacht. Für seinen eigentlich errichteten Zweck wird das Bauwerk aber weiter nicht gebraucht. Wurde es noch nie. Würde es höchstens, wenn die Vision des Fahrgastverbandes IGEB eines Tages Wirklichkeit werden sollte. Dann würden auch dort Fahrgäste ein- und aussteigen.
Die Rede ist von dem Geisterbahnhof, der sich im U-Bahnhof Moritzplatz befindet. Unter dem Nord-Süd-Halt der heutigen U-Bahnlinie 8 liegt der Rohbau einer weiteren in Ost-West-Richtung angelegte Station. Alles errichtet zwischen 1926 und 1928. Nach den damaligen Plänen war vorgesehen, am Moritzplatz zwei U-Bahnlinien kreuzen zu lassen. Davon zeugt bis heute das großzügig angelegte Zwischengeschoss. Die weitere skizzierte Verbindung sollte von Moabit in Richtung Treptow entstehen.
Daraus ist ebenso wenig etwas geworden, wie aus einem ähnlichen Vorhaben während der Nazizeit. Im Zuge der Umbaupläne Berlins zur "Welthauptstadt Germania" war jetzt von einer S- statt einer U-Bahnverbindung die Rede. Beginnend am Anhalter Bahnhof über den Moritzplatz sollte der "Kreuzberger Tunnel" bis zum Görlitzer Bahnhof und darüber hinaus in Richtung Plänterwald führen. Konkret realisiert wurden davon aber nur wenige Meter unterirdischer Aushub vom Anhalter in Richtung Europahaus und der schon vorhandene Geisterbahnhof am Moritzplatz. Abgesehen davon, dass er im Zweiten Weltkrieg als Luftschutzkeller diente, hatte er bisher keine Funktion.
Seine Existenz ist aber kein Geheimnis. Immer wieder bewegte das Bauwerk die Phantasie. Ebenso wie die Tunnelpläne. Jetzt hat sich der Fahrgastverband IGEB der alten Idee angenommen. Er stuft sie selbst als "visionär" ein. Aber sie sollte zumindest in einer Machbarkeitsstudie geprüft werden, findet der stellvertretende Vorsitzende Jens Wieseke.
Idee einer neuen S 6
Ausgangspunkt für diese Überlegungen ist der Bau der neuen S21-Trasse, die eines Tages als zweite Nord-Süd-Verbindung vom Bahnhof Gesundbrunnen bis zur Yorckstraße und weiter zum Südkreuz führen soll. Bei dieser sozusagen vertikalen Linie dürfe es aber nicht bleiben, meinen Wieseke und seine Mitstreiter. Vielmehr liege dann auch eine Ost-West-Anbindung geradezu auf der Hand. Dabei schwebt ihnen eine neue S-Bahnlinie 6 vor, die in Siemensstadt beginnen soll und über die bisher stillgelegte Siemensbahn sowie ab Jungfernheide über die Ringbahn geleitet wird. Hinter dem Westhafen biegt sie dann in die S21-Route ein und zwar bis zum Potsdamer Platz. Dort müsse wegen der zusätzlichen Trasse ohnehin umgebaut werden. Deshalb gelte es auch gleich Vorkehrungen zu treffen für den Anfang respektive das Ende des "Kreuzberger Tunnels".
Der würde nach diesen Vorstellungen in Richtung Koch- und Rudi-Dutschke-Straße, anschließend über die Oranienstraße zum Görlitzer Bahnhof verlaufen. Haltepunkte wären auf dieser Strecke nur die vorhandenen U-Bahnstationen, die dann jeweils auch einen S-Bahnanschluss bekämen. Also neben Kochstraße und Görlitzer noch der Moritzplatz, wo seit mehr als 90 Jahren der Rohbau einer Umsteigestation existiert. Erst im weiteren Verlauf skizziert der IGEB an der Glogauer Straße den Bau eines neuen Bahnhofs als möglichen Kreuzungspunkt für die Straßenbahnlinie M10, die auch nach Senats- und BVG-Vorstellungen von der Warschauer Brücke zum Hermannplatz verlängert werden soll.
Der Weg der S6 würde wiederum weiter in Richtung Kiefholzstraße und zu einem Anschluss an die Ringbahn führen, etwa analog der Trasse der einstigen Görlitzer Bahn. Damit wäre auch eine direkte Verbindung vom geplanten Campus Siemensstadt zur Wissenschaftsstadt Adlershof, dem Flughafen BER und der Hochschulstadt Wildau gegeben, wird ebenfalls hervorgehoben.
"Langfristiges Milliardenprojekt"
Selbst der IGEB stuft diesen Vorschlag als "langfristiges Milliardenprojekt" ein, ganz abgesehen davon, wie lange in Berlin Planungsprozesse selbst für eine neue Straßenbahnlinie dauern. Zum ersten Mal öffentlich gemacht hat er diese Idee im Februar. Das ist zwar erst zwei Monate her, aber wegen der Ereignisse danach fast schon entfernte Vergangenheit.
Die finanziellen Auswirkungen von Corona werden wahrscheinlich auch alle Pläne für den öffentlichen Nahverkehr berühren, befürchtet Jens Wieseke. Phantasievolle Zukunftsentwürfe hatten es schon zuvor nicht leicht, künftig aber wohl noch weitaus schwerer.
Er bleibt aber dabei, dieses Projekt sei sinnvoller als irgendwelche U-Bahn-Verlängerungen in Spandau oder zum Märkischen Viertel. Ebenso wie nach seiner Ansicht eine schnelle S-Bahnanbindung des U-Bahnhofs Gleisdreieck größere Priorität genießen müsste. Für den "Kreuzberger Tunnel" fordert der Fahrgastverband zumindest, dass er im Zuge der weiteren Planungen für S21 gründlich geprüft und diese Chance nicht verbaut wird.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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