Der Wrangelkiez kämpft für den Verbleib seines Gemüseladens
Kreuzberg. Die Zahl ist schwer zu schätzen. Sind es 300 Personen oder sogar mehr? Auf jeden Fall sei der Andrang noch stärker als beim letzten Mal, sagt eine Besucherin. „Und da waren es bereits 250.“
Seit Ende Mai gibt es inzwischen an jedem Mittwochabend ab 19 Uhr einen immer größeren Protestauflauf vor dem Gemüse- und Lebensmittelgeschäft Bizim Bakkal. Denn der Laden in der Wrangelstraße 77 steht vor dem Aus. Besitzer Ahmet Caliskan erhielt vor einigen Wochen die Kündigung. Bis Ende September soll er räumen. Der neue Eigentümer des Hauses, ein Immobilienunternehmen, will den Gewerbetreibenden loswerden.
Dagegen regt sich inzwischen massiver Widerstand. Davon zeugen bereits zahlreiche Spruchbänder, die im Kiez zu sehen sind. „Hände weg von Bizim Bakkal“ steht dort. Oder „Wir sind Bizzim Bakkal“. Letzteres passt schon deshalb ganz gut, weil der Name übersetzt „Unser Laden“ heißt.
Inzwischen hat sich eine Bürgerinitiative gegründet, die nicht nur die Mittwochdemos organisiert. Sie sammelt Unterschriften, verteilt Aufkleber und trommelt im Netz für den Verbleib des Geschäfts. Und insgesamt geht es ihr darum, wie gegen Verdrängung und steigende Mieten vorgegangen werden kann.
Dass sich der Aufschrei gegen diese Tendenzen am Bizim Bakkal festmacht, hat viel mit der Geschichte der Obst- und Gemüsehandlung zu tun. Sie wurde vor 28 Jahren von Ahmet Caliskans Vater eröffnet. Auch der Sohn stand damals schon hinter der Verkaufstheke und übernahm später das Geschäft. Manche Kunden kennen ihn deshalb bereits seit fast drei Jahrzehnten. Sie loben die gute Qualität, die es hier zu fairen Preisen gibt.
Auch, dass das Bizim Bakkal noch immer ein Familienbetrieb ist und nicht zu einer großen Kette gehört, wird positiv vermerkt. „Das Bizim Bakkal ist ein Teil dessen, was Kreuzberg lebenswert macht“, findet die Bürgerinitiative. Und es könne nicht sein, dass auch im Wrangelkiez eine Straße nach der anderen mit den immer gleichen Läden durchgestylt werde. Die ungewisse Zukunft des Geschäfts, oft gepaart mit eigenen Erfahrungen erklärt, warum sich hier nicht nur das übliche Protestpublikum zusammen findet.
Ahmet Caliskan pendelt während des jüngsten Aufzugs am 17. Juni immer wieder zwischen seinem Geschäft und der Straße. Bis vor kurzem hat er sich nicht vorstellen können, dass er hier einmal vertrieben werden könnte. Erst im vergangenen Jahr renovierte er den Laden. Dem neuen Eigentümer bot er an, mehr Miete zu bezahlen. Bisher ohne Erfolg.
Die große Unterstützung habe er nicht erwartet, sagt der Gemüsehändler. Deshalb hofft er auch. „Vielleicht wird doch noch alles gut.“
Aber rein rechtlich lässt sich an seiner Situation wenig ändern. Gewerbemietern kann, anders als Wohnungsnehmern, relativ einfach gekündigt werden.
Deshalb bleiben nur Appelle. Auch von der BVV machte bei ihrer Sondersitzung am 18. Juni. Einer von den Linken eingebrachten Resolution zur Solidarität mit dem Bizim Bakkal stimmten bei Enthaltung der CDU nicht nur alle anderen Fraktionen zu, sondern traten ihr auch bei. Gefordert wird darin vom Eigentümer die sofortige Rücknahme der Kündigung. Gleiches hatte bereits Baustadtrat Hans Panhoff (Bündnis90/Grüne) in einem Brief an den neuen Besitzer verlangt.
Eingreifen kann der Bezirk aber erst, wenn dort zum Beispiel umfangreiche Modernisierungen oder das Umwandeln von Miet- in Eigentumswohnungen geplant sind.
Denn das Haus befindet sich in einem Milieuschutzgebiet.
Hoffnung auf einen Verbleib des Bizim Bakkals macht höchstens ein anderen Beispiel aus dem Wrangelkiez. Im vergangenen Jahr sollte dort eine alt eingesessenen Wäscherei nahe des U-Bahnhofs Schlesisches Tor ebenfalls verschwinden. Als es dagegen Widerstand gab, nahm der Vermieter die Kündigung zurück.
tf
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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