Wo Nachtschwärmer Schlange stehen
Im "Curry 36" wird bis 5 Uhr gebrutzelt
Heißhungerattacke nachts um halb zwei? Kein Problem. Im „Curry 36“ ist auch im Dunkeln was los. Partygänger, Lebenskünstler, Frühschichtler, Saubermänner stehen Schlange für die original Berliner Currywurst. Hinter der Theke kommt da keiner zum Schlafen.
Die junge Frau braucht keine Uhr. Die Zeit vergeht wie im Flug. „Eine Currywurst, kein Problem. Klassisch, bio oder veggie?“ Der Klassiker soll’s sein. Flink schneidet Natalia die Wurst in Stücke, gibt tomatige Sauce samt Currypulver dazu und serviert die gefüllte Pappschale durch die Fensterluke. Lächelnd, mit einem netten Spruch auf den Lippen. Von Müdigkeit keine Spur.
Es ist Samstagnacht, kurz nach halb Zwei. Seit fast drei Stunden sind die 28-Jährige und ihre vier Kollegen auf den Beinen. Sie schieben Nachtschicht im „Curry 36“ am Mehringdamm. Bestellung aufnehmen, Currywürste braten, Pommes fritieren, Getränke und Salate nachfüllen, kassieren – und das alles bis zum Morgenrot. Es ist nicht der leichteste Job. Arbeiten, wenn andere schlafen. „Man gewöhnt sich an die Nachtschicht“, sagt Natalia. „Tagsüber schlafen, der Rhythmus findet sich.“ Seit acht Jahren arbeitet Natalia im "Curry 36". Sie mag ihre Arbeit, braucht die Action. „Ich finde es spannend. Man muss sich viel bewegen und sieht viele Gesichter.“ Mal fröhliche, mal grimmige. In der Nacht sind nicht alle Katzen grau.
Imbiss steht in vielen Reiseführern
Vor dem Kult-Imbiss stehen Studenten, Pärchen, mittelalte Typen in Jeans, zwei Frauen im Kostüm und ein Mann mit Arbeitstasche geduldig in der Reihe. Die jungen Leute kommen aus Clubs und Bars oder wollen noch zur Party. Die Currywurst ist ihr Mitternachtssnack. Andere kommen aus der Spätvorstellung oder streifen als Lebenskünstler durch die Straßen. Manche frühstücken noch schnell vor der Frühschicht. Auch Touristen stoppen hier nachts. Sie wollen Berlin nicht verlassen, ohne die legendäre Currywurst probiert zu haben. Das "Curry 36" steht in fast jedem Reiseführer. Auch Busfahrer, Polizisten, Sanitäter und Stadtreiniger gehören zu den Stammgästen. „Die Leute von der BSR machen hier Pause und trinken Kaffee“, sagt Natalia. „Die Polizei nimmt die Currywürste mit, die dürfen im Dienst nicht am Imbiss stehen.“
"Currywurst muss sein"
Die meisten Gäste sind cool drauf, wollen ein bisschen quatschen, erzählt Natalia. Manchmal fragt ein Obdachloser nach einer Currywurst. Wenn er höflich und nicht betrunken ist, spendiert sie ihm das Würstchen aus eigener Tasche. „Wer mich aber beleidigt, weil ich seine ungenaue Bestellung nicht schnell genug verstehe, den schicke ich weg oder zu meinen Kollegen.“ Am langen Tisch vor dem Hauseingang sitzen heute Nacht auch Fabian und Christian. Die beiden kommen gerade aus dem BKA-Theater und haben Hunger. „Wir sind zwar keine Stammgäste, kommen aber regelmäßig“, sagt Fabian, der heute Geburtstag hat. Die vegane Currywurst schmeckt super knusprig, da sind sich beide einig. Und erst die Soße. „Currywurst muss sein.“ Auch am Jahrestag. Torte gibt’s später noch.
Seit 40 Jahren im Geschäft
Der kultige Imbiss am Mehringdamm hat 1981 aufgemacht. Damals steht im Hauseingang ein kleiner Imbisswagen. „Den hat mein Schwiegervater gekauft“, erzählt Geschäftsleiter Mirko Großmann. Lutz Michael Stenschke ist heute noch der Inhaber vom "Curry 36". Aus dem Imbisswagen wird schnell ein Geschäft, „Stenschke Imbissbetriebe“, so der offizielle Firmenname. Heute, über 40 Jahre später, hat der Imbiss drei weitere Filialen am Bahnhof Zoo, am Hauptbahnhof und am S-Bahnhof Warschauer Straße. Mirko Großmann liebäugelt noch mit dem Alexanderplatz. Aber das ist vorerst Zukunftsmusik.
Wie der Name "Curry 36" entstand
Was viele nicht wissen: Der Name "Curry 36" stammt nicht vom Inhaber, sondern von einem Gast. Im Firmenlogo war das Wort „Curry“ geschrieben und die Wurst, so wie heute noch, als Symbol abgebildet. Irgendwann schrieb das Bezirksamt vor, dass die Hausnummer vom Mehringdamm 36 im Logo erkennbar sein muss. Die stand dann unter dem Wurst-Bild. Die Berliner machten daraus „Curry 36“ – ohne Wurst. „Das hat sich dann zur Marke entwickelt“, sagt Großmann. Eine Marke, die auch Prominente schätzen. Joachim Gauck und Klaus Wowereit schauten öfter vorbei. Michael Schumacher und Sebastian Vettel waren auch schon da. Und erst letzte Woche hat Großmann Joko Winterscheidt im "Curry 36" essen sehen. Selbst Tom Hanks steht auf die Currywurst. Bei der Deutschlandpremiere seines Films „Inferno“ vor sechs Jahren in Berlin lobte der Starschauspieler den „verdammt guten Snack um zwei Uhr morgens“.
Mittlerweile ist es halb 3. Um 5 Uhr schließt das "Curry 36" am Mehringdamm – sofern die Leute nicht mehr Schlange stehen. Für Natalia und ihre Kollegen ist die Nachtschicht dann aber noch nicht vorüber. Nach einer kurzen Zigarettenpause muss das eingespielte Team alles abräumen und gründlich säubern, den Boden wischen, das große Fenster putzen, Fritteuse, Bräter und Pumpen reinigen und alles für den nächsten Tag vorbereiten. Das dauert gut zwei Stunden. Die Frühschicht kommt um 9 Uhr. Natalia, die nach Weißensee raus muss, liegt dann wahrscheinlich schon im Bett und träumt – vielleicht vom "Curry 36".
Autor:Ulrike Kiefert aus Mitte |
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