Eine Schachpartie mit vielen Mitspielern
Zukunft des Gewerbegrundstücks Ratiborstraße hängt noch an vielen Fragen
"Worüber sollen wir jetzt entscheiden?", fragten Teilnehmer der Veranstaltung. Die Antwort: Noch über gar nichts. Vielmehr bekamen sie eine aktuelle Bestandsaufnahme.
Es geht um das Gewerbegrundstück Ratiborstraße 14c-g. Wie berichtet, ist es als ein Standort für Modulare Unterkünfte für Flüchtlinge (MUF) vorgesehen. Die ansässigen Nutzer, vor allem viele Handwerksbetriebe, befürchten, verdrängt zu werden, wenn es beim zumindest vom Senat vorgesehenen Zuzug in einer Größenordnung von bis zu 500 Menschen bleibt. Grundsätzlich haben sie zwar nichts gegen eine Aufnahme von Flüchtlingen auf dem Gelände. Allerdings in weitaus geringerer Zahl. Ähnlich argumentiert auch der Bezirk.
Die Frage der künftigen Aufnahmekapazität steht zwar im Mittelpunkt, um sie ranken sich aber viele weitere. Deutlich geworden ist das bei einer von mehr als 100 Interessenten besuchten Informationsveranstaltung am 20. Oktober in der Martha-Kirche in der Glogauer Straße. Der gesamte Aushandlungsprozess gleiche "einem Schachspiel mit vier Mitspielern". Ein Bild, das Baustadtrat Florian Schmidt (Bündnis90/Grüne) gebrauchte. Es sind sogar noch einige mehr.
50 Prozent Wohnen, 50 Prozent Gewerbe
Um bei diesem Bild zu bleiben, schon der Eröffnungszug wird von verschiedenen Playern geführt. Da ist zunächst die Eigentumsfrage. Bisher gehört das Grundstück der bundeseigenen Immobilienverwaltung BImA. Die wäre grundsätzlich bereit, es an das Land Berlin zu verkaufen und verhandelt darüber aktuell mit der Senatsverwaltung für Finanzen. Allerdings mit der Maßgabe, dort einen Anteil von je 50 Prozent Wohnen und Gewerbe zu realisieren. Unter Wohnen ist wiederum gerade auch Flüchtlingswohnen zu verstehen. Allerdings nicht nur, wie auch die BImA, laut Florian Schmidt, bestätigt habe. Was sich mit den Plänen des Bezirks deckt. Der will dort ungefähr 180 Menschen unterbringen – die Hälfte davon Geflüchtete – und gleichzeitig den Erhalt der bestehenden Betriebe, auch der Kita und der Wagenburg auf dem Grundstück, sichern.
Was BImA und Senatsverwaltung für Finanzen aushandeln, ist aber bisher eine Art eigenes Spiel. Andere sind höchstens indirekt involviert. Auch wenn zugesagt worden sei, andere Belange zu berücksichtigen, so der Baustadtrat.
Etwa die der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales. Die machte bei der Veranstaltung in Person ihres Staatssekretärs Daniel Tietze (Linke) deutlich, dass sie in der Ratiborstraße weiter von einer Flüchtlingsunterkunftsmarge in Höhe von 300 bis 500 Personen ausgehe. Über gewisse Abweichungen "nach oben oder unten" könne geredet werden. Spätestens da wurde klar, dass bei der Schachpartie Tietzes Verwaltung und der Bezirk ebenfalls unterschiedlich gefärbte Figuren bewegen.
Betriebe schlagen "Plattformlösung" vor
Weitere aktive Mitspieler sind außerdem die Betroffenen auf dem Areal. Sie haben eine eigene Studie erarbeitet, wie ihr Erhalt gesichert und gleichzeitig Unterkünfte errichtet werden können. Ihre Idee: eine sogenannte "Plattformlösung". Entlang der Straße werden Wohnungen entstehen, errichtet auf einem Sockel, der auch anderweitig genutzt werden kann. Wie viele Menschen dort einmal leben sollen, blieb vage. Dahinter könnten sich die Macher dieser Studie ein Gebäude mit "stillem Gewerbe" vorstellen. Auch als Puffer zu den Handwerksbetrieben dahinter. Denn die Lärmproblematik bedeutet ein weiteres Problem, wenn Wohnen und Arbeiten parallel stattfinden sollen.
Worauf auch eine Machbarkeitsstudie hinweist, die bis zum Jahresende vorliegen soll. Erhalt des Gewerbes und Verbleib der Nutzer ist ebenfalls deren Ziel. Die Zahl der "Unterbringungsplätze für geflüchtete Menschen und andere Bedarfsgruppen" wird bisher mit 150 bis 300 angegeben. Ein breiter Spagat, gleichzeitig irgendwo in der Mitte der anderen Zahlenangaben. Ebenfalls eine Vorgabe: Erhalt von Grünflächen und Einrichtungen für die Daseinsvorsorge. Auch die Frage der künftigen Trägerschaft spielt eine Rolle.
Das alles konnte auch schon deshalb nicht abschließend beantwortet werden, weil das Schachspiel ja noch in vollem Gange ist. Gleichzeitig soll es teilweise auch relativ schnell gehen. Nur noch 2019 existiere der, wie er es nannte, "Flüchtlingsbauparagraf", informierte Florian Schmidt. Er besagt, dass solche Unterkünfte relativ zügig realisiert werden können. Etwa in einem Gewerbegebiet. Müsste dafür ein Bebauungsplan aufgestellt werden, bedeute das einen Verzug von mindestens drei Jahren. Auch wenn der B-Plan trotzdem kommen soll. Schon um den Gewerbestandort zu sichern. Aber der spezielle Paragraf wäre ein Grund, schon einmal mit dem Bau von MUFs oder ähnlicher Gebäude vorzupreschen. Denn die wären dann zeitnah fertig.
Auch dieses Angebot ist als ein Zug in dem multiplen Schachspiel zu werten. Die Partie wird unter anderem im November mit einem Runden Tisch fortgesetzt. Teilnehmen sollen dabei möglichst alle Akteure, auch Vertreter der sogenannten Zivilgesellschaft. Das beste Ergebnis, das am Ende des Prozesses herauskommen kann: Niemand wird matt gesetzt, sondern ein allgemein akzeptables Remis erreicht.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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