Schüler als Staatssicherheit
Kartenspiel über die Stürmung der Stasizentrale erschienen
Um zu verhindern, dass die Stasi haufenweise Akten vernichtet, stürmten Bürgerrechtler am 15. Januar 1990 die Zentrale der DDR-Geheimpolizei in der Normannenstraße. Heute heißt der Ort Campus für Demokratie, und genau dort wurde kurz vor dem 30. Jahrestag der Ereignisse ein neues Kartenspiel vorgestellt. „Stasi raus, es ist aus!“ ist für Jugendliche gedacht, die Zeitgeschichte einmal anders kennenlernen sollen.
Die Frage drängt sich förmlich auf: Ist es nicht befremdlich, Schüler in die Rollen von Stasi-Mitarbeitern schlüpfen zu lassen? Martin Thiele-Schwez zeigt sich weder überrascht, noch in Erklärungsnot. „Der Perspektivwechsel auf die Seite der Bösewichte ist doch bei vielen Spielen genau das Spannende“, antwortet der Spieleentwickler. „Nur, weil ich das spiele, muss ich’s doch nicht gut finden.“
Ihr Unternehmen heißt Playing History und der Name ist Programm. Thiele-Schwez und Kompagnon Michael Geithner haben sich auf Lernspiele zur deutschen Geschichte spezialisiert. Nach Erfolgen mit „Bürokratopoly“ und „Wendepunkte“ haben die Zwei nun ein Kartenspiel ausgetüftelt, das sich um die letzten Tage in der Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR dreht.
„Stasi raus, es ist aus!“ wurde vom DDR Museum und von der Stasi-Unterlagen-Behörde (BStU) gefördert und in erster Linie für Schüler konzipiert. Ziel ist es, die Heranwachsenden in die Ereignisse vor 30 Jahren eintauchen zu lassen, indem sie tun, was in jenen Tagen Aufgabe der Stasi-Mitarbeiter war: möglichst viele Akten, Protokolle und Berichte vernichten, bevor stürmende Bürger diese Machenschaften stoppen. Ungewöhnlich für ein Spiel: Der Ausgang jeder Partie steht fest, am Ende unterliegt die Stasi – immer.
Der Plot passt
Die Idee entstand während der Zugfahrt zu einer Spielemesse. Geithner und Thiele-Schwez schauten sich eine Broschüre der BStU mit dem Titel „Stasi raus, es ist aus“ an. Darin sind die Geschehnisse in den Wochen nach der Wende dokumentiert, samt Ursprung der titelgebenden Parole.
Während der friedlichen Revolution stand der Schriftzug auf einem Dienstgebäude der Stasi in Suhl. Beim Durchblättern des Heftes hätten sie festgestellt, dass dieses Thema alle wichtigen Kriterien für ein Spiel erfülle, erzählt Geithner. „Es geht um widerstreitende Interessen und Ziele, um einen Konflikt, um Hindernisse und eine Belohnung – alles ist drin.“ Dass die Schüler wie Stasi-Leute handeln, sei ein spielerischer Kniff. Natürlich hätten sie auch die Rolle der DDR-Bürger übernehmen können, die versuchten, die Stasi-Akten vor der Zerstörung zu retten. „Das Gegenteil erschien uns aber interessanter.“
Und so werden beim Spiel zuerst Ausweiskarten verteilt, mit denen jeder Mitspieler quasi als IM (Inoffizieller Mitarbeiter) auftritt. Dann gilt es, Unterlagenkarten verschwinden zu lassen, die je nach Brisanz mit unterschiedlicher Punktzahl versehen sind. Ebenfalls im Stapel sind Karten mit Bildern von Bürgerrechtlern. Deren Ansturm lässt sich schließlich nicht mehr Herr werden. Am Ende zählen die Mitspieler, wie viele Dokumente sie vernichten und dabei Punkte sammeln konnten.
Strategiespiel mit Geschichte
Kann denn ein Kartenspiel überhaupt Spaß machen, wenn der Ausgang schon vorher feststeht? Klar, sagt Martin Thiele-Schwez, wenn die Spielaufgabe kluges und strategisches Denken erfordere, dann schon. Das sei durchaus ein Anreiz, weiß der Entwickler aus Erfahrung. Außerdem gehe es nicht allein ums Vergnügen, sondern vor allem darum, jungen Menschen neue Zugänge zur Geschichte zu eröffnen, ergänzt Michael Geithner. Damit die Ereignisse nicht in Vergessenheit geraten. „Die Vergangenheit verschwindet sonst auch irgendwann. Dann wird sich niemand mehr an so wichtige Tage wie den 15. Januar 1990 erinnern.“
Das Kartenspiel „Stasi raus, es ist aus!“ ist auf Deutsch und Englisch erschienen, es kostet 16,95 Euro. Samt Begleitheft mit Erklärungen bekommt man es im DDR-Museum in der Karl-Liebknecht-Straße 1 oder online auf www.stasiraus.de. Info-Telefon: 847 12 37 31.
Autor:Berit Müller aus Lichtenberg |
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