Im Lebensweg von Michael Heinisch spiegelt sich die politische Wende wider
"Für mich war das damals ganz klar: ich wollte, dass die Punks etwas vom Evangelium erfahren", sagt der 50-Jährige und winkt lachend ab. "Die haben mir von Anfang an deutlich gemacht, dass das Quatsch ist." Zuerst, das habe Heinisch von ihnen gelernt, müsse man zuhören.
Was die am Rand der Gesellschaft in der DDR zu sagen hatten, denen hat Michael Heinisch nicht nur gut zugehört, sondern auch das Gesagte verstanden. Hatte er sich doch selbst nie angepasst. Als fünftes Kind in einer Pfarrersfamilie in Frankfurt/Oder aufgewachsen, war er weder Pionier noch in der FDJ, schloss sich mit 15 Jahren der Friedensbewegung an, die ihm die erste unangenehme Begegnung mit der Polizei einbrachte. Das Abitur konnte sich der Pfarrerssohn abschminken, als Wehrdiensttotalverweigerer nahm er eine mögliche Haftstrafe billigend in Kauf und formulierte mit Freunden einen kühnen Gedanken - nämlich die Absicht, die DDR abzuschaffen. "Ich erlebte, dass wir alle künstlich unfrei gemacht werden. Und ich dachte, alle anderen erleben das gleiche", erinnert sich Heinisch. "Doch erst die Punks zeigten mir, dass Lebenswege auch anders sein können. Von ihnen habe ich gelernt, quer zu denken."
Als Mitarbeiter der Evangelischen Kirche kam er in das Professor-Fischer-Haus nach Lichtenberg. Hier gingen Punks ein und aus. "Sie waren an den Rand der Gesellschaft geschoben, wo auch die Kirche in der DDR stand", weiß Heinisch, der Punks, Rockern und Skins die Türen aufschloss, ihnen Räume gab und die Möglichkeit, sich auszudrücken.
"Es gab Punks, die machten Musik und solche, die Erich Mühsam lasen. Und es gab welche, die haben gestrickt. Und dann habe ich eben mitgestrickt." Masche um Masche entsponnen sich im ProFi-Haus Gespräche, in denen die unerträgliche Unfreiheit im Alltag offenbar wurde. "Es kam zu einer gelebten Solidarität von Leuten, die die DDR nicht wollte." Das eigene Vorhandensein wurde von der Gesellschaft geleugnet - ein Widerspruch entstand, der Gegenwehr produzierte. Das Wegrennen vor der Polizei, das war selbst "den niedrigsten Punks zu wenig", erinnert sich Heinisch. Doch Zusammenleben - wie war das möglich? "Dafür mussten wir die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verändern", sagt Heinisch.
Mit Druckermaschine, Trabbi und Kirchenschlüsseln in der Tasche machte sich Heinisch 1989 daran, die Rahmenbedingungen zu ändern. Er druckte Flugblätter, rief zu Demonstrationen auf, suchte andere durch die Offenlegung des Wahlbetrugs der SED wachzurütteln. "Spätestens durch das Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens in Peking erlebte ich, was ein Staat anrichten kann." Die Übergabe eines Protestschreibens an den chinesischen Botschafter endete für ihn blutig. Er wurde krankenhausreif geschlagen. "Ich begriff, der Staat meint es ernst." Heinisch organisierte das Trommelfasten in der Erlöserkirche.
Als er am 9. November mit seinem Trabbi Flugblätter ausfuhr, vernahm er die Grenzöffnung im Radio, fuhr an die Bornholmer Straße. "Ich war neugierig. Und plötzlich ging es nicht zurück, weil die Menschen nach drüben drängten." Als ihm der Grenzer mit dem Stempel das Passfoto ruinierte, bestand Heinisch auf einen neuen Ausweis. "Ich hatte doch Termine nächste Woche, da war eine Demonstration geplant. Ich wollte doch wieder zurück!"
Zuerst ging es jedoch an den Kurfürstendamm. "Bis dahin war West-Berlin so weit weg wie Australien. Und plötzlich stand ich vor der Gedächtniskirche." Der friedliche Fall der Mauer sei für Michael Heinisch, so erzählt er, auch ein Stück Versöhnung mit der deutschen Geschichte. Dass es sich lohnt, für diesen Frieden zu kämpfen, wolle er als Vater auch seinen sechs Kindern weitergeben.
Autor:Karolina Wrobel aus Lichtenberg |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.