Ungewöhnliche Wahlkämpfer: Seyda Türk und Kashif Kazmi dürfen gar nicht wählen
Berlin. Am 24. September wird ein neuer Bundestag gewählt. Überall in der Stadt sind Wahlkämpfer unterwegs - darunter auch viele junge Leute. Wie Kashif Kazmi und Seyda Türk. Das Besondere: Sie machen Wahlkampf, obwohl sie nicht wählen dürfen.
Er ist vor zwei Jahren als Flüchtling nach Deutschland gekommen, sie ist hier geboren und hat die türkische Staatsbürgerschaft. Beide gehen von Haustür zu Haustür, verteilen Flyer auf der Straße und führen Gespräche mit Passanten. Kashif Kazmi wirbt für die SPD, Seyda Türk für die FDP.
„Ich lebe in Deutschland, die Politik betrifft mich hier. Deshalb engagiere ich mich”, sagt die 22-Jährige. Sie studiert Politische Wissenschaften und Philosophie auf Lehramt und ist seit Anfang 2016 Mitglied der Jungen Liberalen (JuLis), der Jugendorganisation der FDP. Ein Kommilitone hat sie angesprochen, mitzumachen. Inzwischen ist sie stellvertretende Bezirksvorsitzende der JuLis in Tempelhof-Schöneberg und Mitglied im Landesvorstand. Lange Zeit konnte sie sich gar nicht vorstellen, politisch aktiv zu sein.
„Ich dachte, als Arbeiterkind und als Türkin hätte ich dort nichts zu suchen.“ Nach den ersten Treffen bei den JuLis war ihr klar, dass sie etwas bewegen kann und bewegen möchte. Für eine bessere Bildung, ein selbstbestimmtes Leben, schnelles Internet für alle, die Offenhaltung von Tegel und die Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten macht sie Straßenwahlkampf und versucht Menschen zu überzeugen, die FDP zu wählen. Nicht immer reagieren die Menschen freundlich. Manche sagen ihr offen ins Gesicht: „Der Terrorismus liegt euch doch im Blut.“
Auch Kashif Kazmi hört Pöbeleien wie „Scheiß SPD“. Im August 2015 kam er nach Deutschland. Sechs Monate später trat er in die SPD ein und wurde Mitglied bei den Jusos, der Jugendorganisation. Wenn er mit den Jusos unterwegs ist, trägt er einen weißen Beutel mit der Aufschrift „Keep cool vote Schulz“.
Mit schwarzer Farbe sprühen sie ihre Forderung nach mehr Europa, bezahlbaren Mieten oder mehr Radwegen auf den Bürgersteig. Doch kaum jemand nimmt Notiz davon. „Die Menschen interessieren sich nicht für Politik. Sie wollen Veränderung, aber nicht mitmachen“, sagt Kashif Kazmi.
Der 21-Jährige ist im Nordwesten Pakistans in einem kleinen Dorf aufgewachsen. Dort engagierte er sich bei der Volkspartei und einer Menschenrechtsorganisation. Der Terror der Taliban bewegte ihn im Frühjahr 2015 zur Flucht. Ein Vierteljahr war er unterwegs.
Als er nach Berlin kam, konnte er kein Wort Deutsch und fühlte sich ziemlich alleine. „Ich vermisste meine Eltern und meine vier Schwestern und wusste nicht, was ich hier machen kann.“ Dann hörte er von der Kiron-Universität. Sie gibt Flüchtlingen die Möglicheit, online zu studieren. Kashif Kazmi schrieb sich für Ingenieurwissenschaften ein und wurde Studentensprecher in Deutschland.
In dieser Funktion bekam er eine Einladung vom Bundestag und lernte Brigitte Zypries (SPD) kennen, die damals Abgeordnete war und seit Januar Bundeswirtschaftsministerin ist. Sie bot ihm ein mehrmonatiges Praktikum an, anschließend machte er eine achtmonatige Einstiegsqualifizierung bei der SPD. „Die Partei ist meine neue Familie“, sagt der 21-Jährige und lacht.
Seit dem 1. September macht er bei der SPD eine Ausbildung im Bereich Büromanagement. Inzwischen konnte er auch die Flüchtlingsunterkunft in Lichtenberg verlassen und ist in eine kleine Wohnung in Kreuzberg gezogen.
„Deutschland hat mir ein neues Leben und ein Ziel gegeben“, sagt er. „Ich möchte nicht nur die Rechte genießen, sondern mich für dieses Land einsetzen und für eine bessere und gerechtere Zukunft kämpfen.“ ul
Autor:Ulrike Lückermann aus Lichtenberg |
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