„Wir wuppen Großprojekte“
Neujahrsinterview mit Bürgermeister Michael Grunst
Der Jahreswechsel gilt traditionell als Zeit für Rück- und Ausblicke. Berliner-Woche-Reporterin Berit Müller traf den Lichtenberger Bürgermeister Michael Grunst (Die Linke) zu einem Gespräch über Bemerkenswertes im vergangenen und Wichtiges im neuen Jahr.
Wenn Sie aufs Jahr 2018 zurückblicken, fällt Ihnen spontan ein Erlebnis ein, das Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?
Mir fallen zwei Ereignisse ein, ein schönes und ein sehr schmerzhaftes. Im November habe ich der ältesten Lichtenbergerin zu ihrem 109. Geburtstag gratuliert. Sie ist noch unglaublich fit, hat bis vor zwei Jahren in ihrer eigenen Wohnung gelebt, liest jeden Tag Zeitung. Ich war sehr beeindruckt. Überhaupt: Was die über Hundertjährigen aus ihrem Leben erzählen können! Sie sind wandelnde Geschichtsbücher. Ich empfinde es als Auszeichnung, so jemanden kennenlernen zu dürfen. Die Begegnungen mit den Bürgern ist für mich immer noch der wichtigste Teil meiner Arbeit, deshalb bin ich auch so viel im Bezirk unterwegs.
Sehr schlimm wird mir immer der Tod von Keira in Erinnerung bleiben. (Anmerkung der Redaktion: Das 14-jährige Mädchen aus Alt-Hohenschönhausen wurde im März von einem Mitschüler erstochen). Ich war bei der Beerdigung, habe die trauernde Mutter, die Freunde und Angehörigen gesehen. Das hat mich sehr erschüttert, das vergisst man nicht.
Sie sagten vor einem Jahr, Lichtenbergs Bürgermeister zu sein, sei für Sie der schönste Job der Welt. Würden Sie das heute auch noch behaupten?
Das finde ich immer noch, ja. Man erlebt in diesem Job eben alles, von Erfolg bis Enttäuschung. Mir macht das wahnsinnig viel Spaß.
Was hat Sie in diesem Jahr besonders geärgert?
Die Diskussion über die Herzbergstraße.
Sie meinen den Streit um die Frage, ob im Gewerbegebiet Herzbergstraße Kunst gezeigt beziehungsweise sogar eine Kunsthalle gebaut werden darf?
Genau. Ich frage mich, warum wir uns das als Bezirk antun. Wir können doch froh sein über Kunst und Kultur, die nach Lichtenberg kommt. Die Debatte hat Lichtenberg nicht nur einen enormen Image-Schaden zugefügt. Sie widerspricht auch meinem Verständnis von Kommunalpolitik. Es war immer das Lichtenberger Credo und soll es auch bleiben, Dinge, die vernünftig sind, auch möglich zu machen – nicht, sie zu verhindern. Dahin würde ich gerne zurück. Und wir sind gerade dabei.
Blicken wir nach vorn: Was sind die wichtigsten Themen für 2019?
Es gibt vier. Erstens arbeiten wir daran, die Verwaltung dem anhaltenden Wachstum in Lichtenberg anzupassen. Da sind wir auf einem guten Weg. Ein Beispiel: Als ich Bürgermeister wurde, betrug die Bearbeitungsdauer für den Wohnberechtigungsschein 20 Wochen, jetzt sind es noch fünf. Das ist die richtige Richtung. Die Bürger haben ein Recht darauf, Verwaltungsdienstleistungen schnell zu bekommen. Zweitens bleibt es unser großes Ziel, dass jedes Lichtenberger Kind, dessen Eltern es wünschen, einen Kita-Platz erhält. Dritter Schwerpunkt ist die Schulbauoffensive. Wir nehmen dafür rund eine Milliarde Euro in die Hand. Im kommenden Jahr soll die Schule in der Konrad-Wolf-Straße ans Netz gehen, 2020 die Sewanstraße. Wir sanieren, wir bauen neu. Die Wartiner Straße, die Paul-Junius-Straße – das sind Großprojekte, die wir wuppen. Ehrlich gesagt: Die Politik in Berlin sollte sich selbstkritisch fragen, warum sie damit nicht eher angefangen hat.
Außerdem müssen wir die Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau schaffen. Ilsestraße, Barther Straße, Rummelsburger Bucht: Es gibt viel Kritik an den aktuellen Bauvorhaben, und wir sind als Bezirksamt gut beraten, sie ernst zu nehmen. Ich finde die Debatten wichtig. Die Bürger sollen formulieren, wie sie leben wollen. Es ist ihre Stadt. Das kann zur Folge haben, dass bestimmte Vorstellungen von Stadtraumverdichtung nicht umgesetzt werden. Aber Wohnungsbau sollte so stattfinden, dass die Leute weiter gern in Lichtenberg leben. Stadtentwicklung ist immer auch ein Kompromiss.
Um herauszufinden, wie die Menschen leben möchten, hat das Bezirksamt 2018 mit den Stadtteildialogen begonnen – einem ganz neuen Format der Bürgerbeteiligung. Wie ist die Resonanz?
Recht unterschiedlich. Es gibt ein gewisses Misstrauen, was ich nachvollziehen kann. Der Dialog darf ja nicht folgenlos bleiben, er muss Konsequenzen haben. Das ist ein Lernprozess, der sich nicht innerhalb eines Jahres vollzieht. Aber ich gehe davon aus, dass die Stadtteildialoge immer stärker angenommen werden, wenn die Menschen feststellen, dass wir sie ernst nehmen, und wenn wir direkt zu ihnen gehen. Wir treffen sie in Freizeitstätten, auf Festen, in ihren Kiezen und probieren verschiedene Varianten und Formate weiter aus.
Sie waren vor Kurzem in Vietnam und dort in einem Lichtenberger Partnerbezirk. Was haben Sie von dieser Reise mitgenommen?
Ich war das erste Mal in Südost-Asien und sehr beeindruckt.Das bin ich immer, wenn ich eine andere Kultur entdecke. Besonders gefallen haben mir die Freundlichkeit, die Aufgeschlossenheit und das Interesse der Menschen. Da war nichts gespielt. Ich bin sehr froh über diese Partnerschaft. Hanoi sieht sich mit vielen Herausforderungen konfrontiert, und Deutschland genießt dort ein hohes Ansehen. Gemeinsam wollen wir einen Schulaustausch und diverse Umweltprojekte in Angriff nehmen. Das Bild der fahrradfahrenden Vietnamesen, das ich noch aus meiner Kindheit im Kopf habe, stimmt nämlich nicht mehr. Heute fahren sie alle Moped – und so ist auch die Luft in Hanoi.
Zurück nach Lichtenberg. Hier sind Sie ständig zu Terminen unterwegs und eine sehr öffentliche Person geworden. Hat sich dadurch Ihr Leben geändert? Können Sie noch unbehelligt durch den Kiez spazieren?
Ja schon, auch wenn ich jetzt öfter gegrüßt und erkannt werde. Als ich im Sommer wegen der anhaltenden Trockenheit jeden Morgen den Baum vor meinem Haus gegossen habe, rief einmal jemand „Guten Morgen, Herr Bürgermeister!“ vom Balkon. So etwas passiert schon.
Ist das nicht nervend?
So unbefangen wie früher bin ich nicht mehr. Aber wenn man dieses Amt antritt, dann weiß man doch, dass das Privatleben ein Stück weit zurücktritt. Ich sorge schon für Privatsphäre in meiner Freizeit. Und wenn ich bei Union im Fußballstadion bin, ist den Leuten nun wirklich völlig egal, wer neben ihnen steht.
Autor:Berit Müller aus Lichtenberg |
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