Junge Liberale aus Lichtenberg
Noreen Thiel (17): "Modisch bräuchte Politik mehr Billie Eilish"
BERLIN – Sie ist mit ihren jungen 17 schon mal kritisch mit der eigenen Partei: Noreen Thiel will als Junge Liberale unsere Politik mitgestalten - und gibt sich ganz nebenbei modebewusst und authentisch auf Instagram. Interview mit einer engagierten Abiturientin, die in die FDP eintrat, weil sie das Bildungssystem mies fand und nicht nur daran einiges ändern möchte.
Spätestens seit "Friday for Future" gehen Frauen wie Carla Reemtsma oder Luisa Neubauer nicht nur regelmäßig auf die Straße, sondern diskutieren über ihre Ansichten mit politischen Schwergewichten in TV-Talkshows bei Frank Plasberg, Maybrit Illner oder Sandra Maischberger. Junge Menschen argumentieren dort messerscharf und bringen Volksvertreter manchmal in Erklärungsnot. Aber vor allem möchten Teenager ihre Zukunft aktiver mitbestimmen. Für einige sind solche Jugendliche leider nur ein Haufen Kids von der Straße, die freitags frei haben wollen. Dabei sind die Probleme in den Schulen nicht weniger gravierend, wie wir gleich noch erfahren werden.
Dann kam Corona. Mit voller Wucht. Ein Großteil der Schulen und Unis sind immer noch nicht komplett hochgefahren. Das hat noch mal vieles verändert. In unseren Kiezen leben viele Jugendliche, die sich wirklich ernsthaft Gedanken machen. Noreen Thiel aus Lichtenberg ist eine davon. Die 17-Jährige ist vor zwei Jahren bei den Jungen Liberalen (FDP) Mitglied geworden, um Politik mitzubestimmen. Ein Gespräch mit der Schülerin über das Verhalten der FDP beim Lockdown, nicht ruhmreiche Kultusminister/-innen und wie sie sich mit Mode ausdrücken möchte.
Das Interview mit Noreen Thiel
Marcel Adler: Liebe Noreen, Du gehörst zu den sehr jungen Menschen, die sich politisch engagieren – wann und wie bist Du zu den Liberalen gekommen und warum gerade die FDP?
Noreen Thiel: "Ich habe 2017 festgestellt, dass das Bildungssystem richtig mies ist. Das war genau zu der Zeit des Bundestagswahlkampfes. Ich habe mich dann mit den Vorschlägen der Parteien zur Bildungspolitik auseinandergesetzt. Die Ideen der Freien Demokraten gefielen mir da ziemlich gut, insbesondere die Kritik an den 16 verschiedenen Systemen (Bildung ist Sache der jeweiligen 16 Bundesländer, Anm. d. Autors). Außerdem habe ich auch viele meiner anderen Sichtweisen bei der FDP wiedergefunden. Da ich aber erst 14 war und ein Parteieintritt erst ab 16 möglich ist, habe ich mich dann für die Mitgliedschaft bei den Jungen Liberalen entschieden."
Was macht man eigentlich genau in einer Partei und wie sieht die politische Arbeit bei euch aus?
"Unsere Parteivorstände – vor allem bei den JuLis (Junge Liberalen) – bestehen aus drei großen Aufgabenbereichen. Programmatik - für die Inhalte bzw. Anträge. Presse - für Social Media und Pressemitteilungen. Organisation – für die Veranstaltungsplanung vom Stammtisch bis zum Kongress. Jeder Vorstand hat normalerweise einen Vorsitzenden und drei stellvertretende Vorsitzende, die einen der Bereiche leiten. Die Beisitzer arbeiten dann den jeweiligen Stellvertretern zu, zum Beispiel durch inhaltliche Recherche oder kreative Vorschläge für Social Media. Bestenfalls kommen dann aus dieser Zusammenarbeit von Beisitzern, Stellvertretern und Vorsitzenden neue Anträge, aktuelle Pressemitteilungen und regelmäßige Events heraus."
"Ich finde leider, die Freien Demokraten haben während des Lockdowns zum Teil keine sonderlich gute Figur gemacht."
Bei Deinem Instagram-Profil fielen mir auf einigen Foto auf, dass Du ein schwarzes Shirt mit der Aufschrift "Anti Corona Club" getragen hast. Was genau darf man darunter verstehen bzw. was war Deine Botschaft?
"Es ist eher ein Witz. Es gibt ja die bekannten 'Anti Social Social Club'-Shirts und das ist quasi die Corona Version davon, die ich bei einem meiner Lieblingsfotografen gesehen habe. Das ist schon die ganze Geschichte dahinter. Die Produktbeschreibung der Shirts sagt: 'Wenn bald wieder alles gut ist, die Clubs und Festivals wieder öffnen bzw. stattfinden, dann könnt ihr mit diesem Shirt sagen: Ich war dabei, beim großen Corona Shutdown. Wir konnten damals auf kein Festival und in keinen Club, außer in den Anti Corona Corona Club.' Ich finde das trifft es hervorragend."
FDP-Chef Christian Lindner, aber auch andere Liberale (ebenso parteiübergreifend) waren die Maßnahmen von Corona teilweise zu hart oder die Lockerungen wurden als zu zögerlich gesehen. Wie siehst Du ganz persönlich die aktuelle Arbeit der Politik in Sachen Corona?
"Ich finde leider, die Freien Demokraten haben während des Lockdowns zum Teil keine sonderlich gute Figur gemacht. Insbesondere zu Beginn ging es häufig nur um Wirtschaft, was ich sehr unangebracht fand. Gerade zu der Zeit mangelte es in der öffentlichen Kommunikation an Empathie, die wir uns eigentlich ins Leitbild geschrieben haben. Ganz abgesehen von der Performance meiner Partei, haben sich insbesondere die Kultusminister der Länder nicht grade mit Ruhm bekleckert. Mich als Abiturientin hat das ewige Hin- und Her um das Schreiben der Prüfungen ziemlich genervt. Gerade weil jeden dritten Tag eine neue Regelung kam und man sich nicht wirklich auf etwas einstellen konnte. Viele Schüler hatten auch einfach andere Sorgen, als sich auf ein Abitur vorzubereiten, während ihre Eltern vielleicht grade ihren Job verloren haben oder selbst (schwer) erkrankt sind. Dass man sich so über die Sorgen der Schüler hinweggesetzt hat und so sehr auf die Prüfungen beharrt hat, fand ich extrem uneinsichtig und verantwortungslos. Es gab gute Gegenvorschläge von Schüler-, Lehrer- und Elternvertretungen, die aber ignoriert wurden."
Wie persönlich hat sich Dein Alltag und das Leben wegen Corona in den letzten Wochen verändert?
"Ich war zu Beginn des Lockdowns grade in Berlin und konnte dann nicht nach Hause nach Cottbus, weil ich zwei Risikofälle in der Familie habe. Da hat sich mein Umzug nach Berlin dann etwas vorgeschoben. Ich bin seither auch nur noch für die Abiturprüfungen und andere wichtige Termine in Cottbus gewesen. Außerdem musste ich ein Praktikum, auf das ich mich gefreut hatte, leider verschieben. Ansonsten ist es für meine Psyche auch nicht ganz einfach so lange zuhause zu bleiben, aber ich versuche einmal am Tag spazieren oder um die Ecke einkaufen zu gehen, um das im Griff zu behalten."
"Politik kann auch anders als streng und förmlich."
Schauen wir noch mal Deine Fotos auf Instagram an. Du zeigst Dich dort modisch, keck und in verschiedenen Styles: Welche Rolle spielt Mode in Deinem Leben?
"Eine sehr große. Ich liebe es mich auszuprobieren. Vor kurzem habe ich scherzhaft getwittert, ich würde nur Abgeordnete werden, um Deutschland meine coolen Outfits zu zeigen. Politik kann auch anders als streng und förmlich. Ich liebe beispielsweise Sneaker, und egal ob ich Kleid oder Jeans trage, ich habe dazu grundsätzlich Sneaker an. Mode ist eine Art sich auszudrücken. Sie macht wundervoll wandelbar. Ich glaube modisch bräuchte Politik mehr Billie Eilish (erfolgreiche 18-jährige Indie- und Popsängerin aus den USA, die seit ihrem 15. Lebensjahr Musik macht, Anm. d. Autors) und weniger Hosenanzüge mit bunten Blazern."
Modelst Du nur privat auf Instagram?
"Ja, ich mache das nur privat auf Instagram und (noch) nicht professionell."
Was ich so bei Dir gelesen habe, ist das Feedback in den sozialen Netzwerken überwiegend positiv. Die ein oder andere Beleidigung ist mir aber aufgefallen – wie gehst Du mit Kritik im Netz um?
"Ich bin ja nicht Mario Sixtus, der bei jeder Kritik gleich auf 'Blockieren' klickt. Sachliche Kritik kläre ich meist in privaten Chats. Beleidigungen lösche ich. Ich muss mich nicht mit negativen Dingen umgeben als nötig. Auch wenn es nicht die feine Art ist. Vieles nehme ich auch einfach nur zur Kenntnis und gehe nicht weiter auf Trolls ein. Ich habe Besseres zu tun."
"Berlin ist für mich ein großes Stück Freiheit."
Deine Bilder sind oft in Berlin gemacht worden: Was ist für Dich Berlin und was gefällt Dir besonders an der Stadt?
"Berlin ist für mich ein großes Stück Freiheit. Da Cottbus sehr klein ist, kannte irgendwie jeder jeden. Das ist in Berlin anders. Man ist anonymer und es ist schnelllebiger. Das schätze ich sehr. Ich liebe die Vielfalt an Restaurants, Burgerläden und Cafés in der Stadt. Vermutlich ist das der Grund, warum ich zugenommen habe, seit ich hier wohne. Ich bin oft im Regierungsviertel und fühle mich auch entsprechend wohl dort. Und die Spree ist hier schöner als in Cottbus."
Wie sieht Deine politische Arbeit in Zukunft aus?
"Ich weiß es nicht genau. Ich strebe kein bestimmtes Amt an. Wenn sich etwas ergibt, freut es mich natürlich. Ich will eigentlich nur, dass alle Abgeordneten einen coolen Social-Media Auftritt haben. Dazu würde ich auch irgendwann gerne meinen Beitrag leisten. Bei einer größeren Kampagne, wie zum Beispiel zur Bundestagswahl nächstes Jahr mitzuwirken, darauf wäre ich stolz."
Wie reagieren Freunde auf Deine Arbeit für die Liberalen?
"Zu Beginn meiner Mitgliedschaft war ich wohl sehr anstrengend, weil ich kein anderes Thema als Politik hatte. Sonst wurde ich nie für meine politische Ausrichtung 'diskriminiert'. Ich habe eigentlich immer Zuspruch erhalten und bin froh und dankbar, dass ich mich auf ihren Rat verlassen konnte, wenn ich mir nicht sicher war oder nicht wusste, ob ich das Richtige tue."
"Es ist unglaublich wichtig, dass junge Menschen mitwirken und wissen, dass sie was bewirken können, wenn sie wollen."
Abschließend interessiert mich Deine ganz eigene Meinung: Was würdest Du jungen Menschen sagen, die sich von der Politik abgehängt fühlen oder mit Frust auf "die da oben" blicken?
"Eintreten, mitmachen, laut werden und feststellen, dass 'die da oben' gar nicht so weit oben sind. Geht zu den Treffen der Jugendorganisationen und redet, diskutiert, kritisiert. Auch als Jugendorganisation kann man so viel bewirken. Die Jungen Liberalen haben beispielsweise in die FDP die Legalisierung von Cannabis und die Aussetzung der Wehrpflicht eingebracht. Es ist unglaublich wichtig, dass junge Menschen mitwirken und wissen, dass sie was bewirken können, wenn sie wollen."
Sollten wir noch etwas wissen über Dich, was ich jetzt nicht gefragt habe, aber Dir auf der Seele brennt?
"Mir persönlich ist psychische Gesundheit ein wichtiges Thema. Wir müssen darüber als Gesellschaft sprechen. Ich als Betroffene habe es nämlich satt in Schubladen gesteckt zu werden. Niemand sucht sich Depression aus und keine Schwäche. Ich glaube, wir müssen im ganzen Bereich der Behandlung solcher Krankheiten viel bewegen. Ich glaube Mental Health (übersetzt Psychische Gesundheit, Anm. d. Autors) ist noch viel zu sehr Tabuthema in Deutschland und muss endlich ernsthaft im Plenarsaal ankommen."
Liebe Noreen, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview wurde Anfang der Woche geführt.
Zur Person:
Noreen Thiel ist 17 Jahre jung und lebt seit kurzem im Bezirk Lichtenberg. Sie befindet sich derzeit zwischen Abi und Studienbeginn. Geboren wurde Noreen in Spremberg (Brandenburg, Landkreis Spree-Neiße) und hat bis vor zwei Monaten in Cottbus gelebt. In Berlin wird sie ab Herbst 2020 studieren. Thiel war bis vor wenigen Wochen Beisitzerin der JuLis (Junge Liberalen) Brandenburg und ist in der Lausitz seit einem Jahr Kreisvorsitzende.
Autor:Marcel Adler aus Friedrichshain |
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