Bundestagskandidatin Gesine Lötzsch lud zum Lokaltermin
Die Sofalandschaft ist mit kuscheligen Decken ausgelegt, davor stehen niedrige Couchtische. Ein wenig Unordnung herrscht wohl noch von der Vornacht. Hier nehmen die Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch und die Berliner Abgeordnete Evrim Sommer (beide Die Linke) Platz. Ihre Blicke sind auf den halbtransparenten Vorhang zur Tür des Wohnzimmers gerichtet. Dahinter huschen ältere Herren um die 70 durch den Flur ins Badezimmer. Nackt. Im Wohnungsbordell "Julia Massagen" in der Rhinstraße 101 herrscht um 11 Uhr an diesem Mittwochmorgen reger Betrieb."Es ist ein normaler Beruf", hebt Julia hervor. Julia, das ist nicht ihr wahrer Name. Die Bordellinhaberin ist Mutter zweier Kinder, will sie und sich schützen. Nach drei Jahren hat sie die Prostitution aufgegeben und vermietet jetzt vier Zimmer an Frauen, die aus Deutschland, Polen und Russland kommen und hier Freier empfangen. Die meisten sind Stammgäste, zahlen 50 Euro für eine halbe Stunde Vergnügen - "mit Schutz, und Küssen ist extra", schiebt Julia nach. "Ich bezahle und mache mit dir, was ich will - das ist hier nicht so", sagt sie.
Verhältnisse wie am Straßenstrich an der Darßer Straße findet Julia nicht gut. "Auch wegen der Hygiene. Ich kann da die Männer nicht verstehen..." Den Verkehr verrichten die dort im Gebüsch. Julia selbst wohnt nicht unweit der Darßer Straße.
Gesine Lötzsch hört Julia aufmerksam zu. Während der Bundestagskandidat der CDU in Lichtenberg, Martin Pätzold, pressewirksam den Straßenstrich in der Darßer Straße anprangerte, kontert die Bundestagsabgeordnete in ihrem Wahlkampf mit einem gesitteten Bordellbesuch. "Es ist das älteste Gewerbe der Welt", sagt Lötzsch pragmatisch. Hier gehe es nicht um Traumbilder, es sind Frauen, die ihren Körper zur Verfügung stellen. "Man muss akzeptieren, dass es das gibt, sich den Realitäten stellen."
Die Wirklichkeit, das sind neben dem Straßenstrich auch Wohnungsbordelle. Es ist wohl die saubere Seite des Geschäfts. Julia hat sich in Sachen Steuerrecht schulen lassen, damit es mit dem Finanzamt klappt. An den Frauen vom Straßenstrich sind dagegen die Sozialarbeiterinnen dran.
Seit 2002 ist Prostitution nicht mehr sittenwidrig. Doch der Menschenhandel boomt. Straßenstrich, das kann auch Zwangsprostitution sein. "Unser Anliegen ist es, die Rechte dieser Frauen zu stärken", sagt Lötzsch. "Für mich ist das Sozialpolitik, das gehört dazu", erklärt sie später. Hartz IV, die Mietenproblematik - "ich diskutiere nicht theoretisch darüber, sondern kenne die konkrete Wirklichkeit." Dazu gehört auch ein Bordellbesuch. Politische Forderungen könne die direkt gewählte Bundestagsabgeordnete dann am besten vertreten, sagt sie.
In diesem Jahr will Gesine Lötzsch wieder mit einem Mandat in den Bundestag einziehen. Sie ist Dritte auf der Landesliste, nach Petra Pau und Gregor Gysi. Bei der Wahl 2009 erhielt Lötzsch satte 47,4 Prozent der Erststimmen in Lichtenberg.
Still ist es geworden um die promovierte 52-Jährige, seit sie 2012 als Parteivorsitzende aus persönlichen Gründen zurückgetreten ist. Heute ist sie Obfrau im Haushaltsausschuss, "ich habe damit eine Schlüsselfunktion in Parlament und Fraktion". Lötzsch, die seit 1984 Mitglied der SED, dann nach der Wende der PDS beitrat und seit 2002 im Bundestag sitzt, hat gerade in den zwei Jahren als Parteivorsitzende von Die Linke viel Kritik und Häme eingefahren. Etwa für ihr Glückwunschschreiben an den kubanischen Ex-Staatschef Fidel Castro oder für ihren Gastbeitrag mit dem Titel "Wege zum Kommunismus" in der Zeitung "Junge Welt". Auf die Kritik angesprochen sagt sie heute: "Es gibt eben Phasen im Leben. Wer vorne steht, kriegt alle Pfeile ab."
Autor:Karolina Wrobel aus Lichtenberg |
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