Ehemalige Stasi-Zentrale in der Ruschestraße wird Notunterkunft
Lichtenberg. Innerhalb von Stunden hat das Deutsche Rote Kreuz (DRK) am Abend des 19. Novembers die Flüchtlingsunterkunft in der Ruschestraße 104 vorbereitet. Zu den freiwilligen Helfern zählten auch die Lichtenberger Bezirksverordneten, die ihre monatliche Sitzung dafür abbrachen.
Vergessen ist der politische Schlagabtausch, als viele der Bezirksverordneten gegen 19.30 Uhr ihre Schreibtische in der Max-Taut-Aula räumen und in die Ruschestraße fahren. Dort treffen sie Dutzende andere Helfer. Sie wurden über Facebook, Twitter & Co. mobilisiert.
Die Aufgabe: Noch an diesem Abend muss das riesige, leerstehende ehemalige Stasi-Gebäude für die Flüchtlinge vorbereitet werden. Sicherheitsleute streifen zusammen mit DRK-Mitarbeitern durch den Block. Dreizehn leere Stockwerke. Sie suchen die Duschen, doch es gibt keine. Duschcontainer werden angefordert. Sie sollen am nächsten Morgen geliefert werden. Ebenso Bettgestelle.
Schilder mit arabischen Schriftzeichen
Rund 400 Matratzen haben die Helfer aus herangerollten Lastwagen geholt und sie in den verwaisten Büros verteilt, in jedes vier Stück. Das muss für die Nacht reichen. Hygieneartikel werden zusammengepackt. Andere Freiwillige gehen in schnellem Schritt die kilometerlangen Flure ab, die alle gleich aussehen. Sie kleben Schilder mit arabischen Schriftzeichen an Türen: Hier sind die Toiletten.
Immer wieder heißt es, zu warten. Ist eine Aufgabe erledigt, wird die nächste gesucht. Nicht immer findet sich eine. "Kaffee kochen geht aber immer", sagt eine Helferin. Dann bricht wieder Hektik aus. Ein neuer Transporter ist eingetroffen, dieses Mal mit Handtüchern.
Gegen 22 Uhr kommt ein Anruf aus der Berliner Unterbringungsleitstelle. Die Busse mit den Menschen seien unterwegs, heißt es. Jetzt werden den Helfern Einmalhandschuhe angeboten. "Keine Scham", rät eine DRK-Mitarbeiterin. Die meisten lehnen ab.
Sie wissen nicht, wo sie sind
Wenig später steigen die ersten Flüchtlinge aus den Bussen. Der Innenhof des einstigen Stasi-Blocks ist spärlich beleuchtet. Die Menschen wissen nicht, wo sie sind. Auf die Frage, aus welcher Einrichtung er hierhergebracht hat, antwortet ein Mann mit höflichem Kopfschütteln. Vorher sei er aber in Itzehoe und dann in Hamburg gewesen, sagt er.
Mit seiner Familie wird er in eines der Gebäude gebracht. Hier stehen Bierbänke, Kisten mit Fladenbrot und Wasser. Es ist zugig und ungemütlich. Müde lassen sich die Eltern auf die Bänke fallen, viel Hunger haben sie nicht. Die kleine Tochter quengelt, sie windet sich auf der harten Bank. Sie will schlafen und kann es nicht. Ihr Bruder hat es besser: Er schläft schon die ganze Zeit auf einem großen, mit zwei Gürteln zusammengehaltenen Koffer.
Eine gefühlte Ewigkeit
Die Flüchtlinge warten nun darauf, auf Schlafplätze verteilt zu werden. Die DRK-Helfer arbeiten fieberhaft, trotzdem geht es erst nach einer gefühlten Ewigkeit los. Der Junge wacht nicht auf, auch nicht, als er von fremden Händen zur Notunterkunft durch die windige und regnerische Nacht getragen wird. Sein Vater schleppt die Koffer der Familie und lacht. In Deutschland ist die Luft frisch, sagt er. Ihm fällt auf, dass einer der Helfer für dieses Wetter zu dünn angezogen ist.
Dann geht es ins Gebäude. Das helle Licht brennt in den Augen. In einem Vorraum, hinter Tischen, sitzen ein Dutzend Sanitäter mit Schutzmasken und Einmalhandschuhen. Die Familie wird nach Namen und Geburtsdaten gefragt. Keiner hat einen Impfpass. Auf einem handgeschriebenen Zettel stehen arabische Begriffe, dahinter deutsche: Husten und Durchfall sind darunter. Der Vater schüttelt den Kopf und legt seine Hand schützend auf den Kopf seines Sohnes. Aus dem Schlaf gerissen, kann der sich kaum auf den Beinen halten und jammert.
Nun geht es in den nächsten Raum zur eigentlichen Registrierung. Die Familie kann sich setzen. Gegenüber steht ein Schreibtisch. Von dort aus fokussiert eine Digitalkamera die hier Sitzenden. Dahinter die Augen von zwei DRK-Mitarbeiterinnen. Alle Unbefugten müssen während der Registrierung den Raum verlassen. Zwanzig Minuten später geht die Tür wieder auf. Die Familie muss im Flur warten, wieder vergeht Zeit.
Schließlich werden Vater, Mutter, Sohn und Tochter an die Hand genommen und durch den Flur geführt – "Shutteln", nennt das eine Mitarbeiterin. Aus den ehemaligen Büros reichen Helferhände Hygieneartikel, Kissen, Bettbezüge.
Keine Matratze bleibt unbelegt
Die Familie hat Glück: Sie darf ein Zimmer alleine belegen. Darauf hofft auch eine andere, dreiköpfige Familie. Ein Helfer schüttelt den Kopf. "Wir können auf keine Matratze im Zimmer verzichten." Der leere Schlafplatz könnte noch mit einem Fremden belegt werden.
Bis Mitternacht sind etwa 100 Menschen angekommen. Weitere 200 sollen in dieser Nacht folgen. Einige Helfer packen zusammen. Nach vier Stunden wollen sie nach Hause. Sie denken an ihre eigene Familien, an den Wecker, der morgen früh klingelt. Die Ehrenamtskoordinatorin des DRK, Doro Büttner, bedankt sich für die Hilfe. Und bittet jeden einzelnen, möglichst am nächsten Morgen wiederzukommen. Dann müssen die Bettgestelle aufgebaut werden. KW
Autor:Karolina Wrobel aus Lichtenberg |
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