Für neuen Lebensmut – ein Besuch bei der Tagespflege Einbecker 85
Friedrichsfelde. Gisela Kraft ist eine von den „Golden Girls der Einbecker 85“ – der letzten Tagespflegeeinrichtung, die noch in der Hand des Bezirks Lichtenberg ist. Dort hat die 83-Jährige, wie sie sagt, wieder zurück ins Leben gefunden.
Es war eine Leserin der Berliner Woche, die uns auf die Einrichtung aufmerksam gemacht hat. Es sei unglaublich, wie liebevoll sich das Personal hier um die älteren Menschen kümmere, sagte sie. Das verdiene höchstes Lob – gerade auch deshalb, weil das Wort "Tagespflege" für viele einen schlechten Beigeschmack habe. Wir wollten uns selbst überzeugen und statteten der Einbecker 85 einen Besuch ab.
Und dort haben wir Gisela Kraft getroffen. Vor zwei Jahren ging es ihr noch sehr schlecht. Hüfte, Knie und Becken wollten einfach nicht mehr mitmachen. Sie saß im Rollstuhl und jede noch so kleine Bewegung verursachte Schmerzen. „Ich konnte es einfach nicht mehr aushalten, habe immer wieder Tabletten geschluckt.“ Und dann war da die Einsamkeit, wenn sich ihr Mann Wolfgang – mit dem sie seit 65 Jahren verheiratet ist – um den großen Garten kümmerte.
In der Tagespflege lernte sie wieder Schritt für Schritt das Laufen. Die Pfleger hoben sie aus dem Rollstuhl, sie hielt sich im Flur an einer Halterung fest. „Dann ging das Stehen wieder, und die Pfleger haben mich motiviert weiterzumachen.“ Nach einem halben Jahr brauchte sie nur noch einen Rollator. Heute geht und steht die lebenslustige Frau, wann und wo es ihr gefällt.
Zwei Mal in der Woche lässt sich Gisela Kraft von einem Shuttlebus in die Einbecker 85 bringen. „Erst wird sich geherzt und dann unterhalten wir uns ’n Schlag.“ Nach dem Frühstück geht es zur Gymnastik. Es folgt ein zweites Frühstück und die Zeitungsschau. „Im Rätsel lösen bin ich richtig gut. Meist sind es nur drei bis vier Sachen, die ich den anderen überlasse, weil ich partout nicht drauf komme“, sagt Gisela Kraft.
Am liebsten ist sie aber mit ihren Freundinnen Angela Stähr und Christine Kaiser unterwegs. „Wir sind eine eingeschworene Gemeinschaft, verstehen uns gut und sind alle noch ein bisschen klar in der Birne.“ Oft sitzen die drei „Golden Girls“ im Fernsehraum, tratschen über die neuesten Soaps und urteilen in schwierigen Gerichtsfällen schon fast wie die alten Hasen Salesch und Hold. Manchmal reden sie auch über frühere Zeiten, wie schwer es war und wie sie ihre Kinder großgezogen haben.
Neben dem Fernsehraum gibt es fünf Ruheräume, in die sich die Gäste – wann immer sie wollen – zurückziehen können. An den Wänden hängen alte Schwarz-Weiß-Fotos. Schränke, Sofas und Tische sind Geschenke von Angehörigen ehemaliger Gäste. Wer sich nicht zurückziehen will, findet im Tagesraum schnell Anschluss und kann an Gesellschaftsspielen teilnehmen. „Der absolute Renner ist Bingo“, erzählt Margitta Thomas, stellvertretende Pflegedienstleiterin. Für die Gewinner winken kleine Preise zum Naschen und Sachen, die die Gäste selbst mitgebracht haben.
In der Einbecker 85 ist der Gast König: „Das war bei mir schon immer so“, sagt Jörg Lube, Leiter der Tagespflege. Als gelernter Koch und Kellner hat er vor 17 Jahren sein Grundprinzip einfach mit in den neuen Beruf als Altenpfleger und Pflegedienstleiter genommen. „Ich möchte, dass unsere Gäste verwöhnt werden und sich wohlfühlen.“ Dazu gehöre, Wünsche zu erfüllen. Das kann ein Grillfest mit Würstchen und Kartoffelsalat zum Geburtstag sein, eine Fahrt in die alte Heimat oder eine Reise mit dem Dampfer. „Drei Mal sind wir mit unserem Bus zur Anlegestelle gefahren, weil alle mitwollten“, erzählt Lube.
Die Einrichtung unweit der U-Bahnstation Friedrichsfelde bietet Platz für 20 pflegebedürftige Menschen, darunter auch Demenzkranke. „Einige von ihnen leiden unter Depressionen. Hier können sie mit anderen Kontakt aufnehmen. Sie fangen wieder an zu reden und schöpfen neuen Lebensmut“, sagt Lube.
Drei Altenpfleger, drei Pflegehelfer und mindestens eine Kraft, die vom Arbeitsamt finanziert wird, kümmern sich montags bis freitags zwischen 9 und 16 Uhr um ihre Gäste. Manche sind jeden Tag hier, andere, wie Gisela Kraft, seltener. Physio- und Ergotherapeuten kommen direkt ins Haus. Wer mehr wissen möchte, kann die Einrichtung an einem Schnuppertag kennenlernen. JK
Autor:Josephine Klingner aus Tegel |
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