Mieterhöhung trotz "Mietendeckel"?
Lichtenberger Mieter haben gute Karten

Mieterhöhungen sind doch aufgrund des "Mietendeckels" in Berlin zurzeit verboten oder?

Obwohl in Berlin am 23.02.2020 das Gesetz zur Neuregelung gesetzlicher Vorschriften zur Mietenbegrenzung (MietenWoG Bln) und damit der sog. "Mietendeckel" in Kraft getreten ist, erhöhen Vermieterinnen und Vermieter munter die Miete weiter, so als ob ein Mietendeckel in Berlin nicht existiere.

Sind derartige Mieterhöhungen wirksam?

Kernpunkte des MietenWoG Bln (Mietendeckel) in der Theorie

Der Mietendeckel ist eine allgemeine Mietpreisbegrenzung für fünf Jahre.

Kern des Gesetzes ist die öffentlich-rechtliche Begrenzung der Mieten in Berlin für fünf Jahre.

Ausgenommen vom Mietendeckel sind:

- Wohnungen des öffentlich geförderten Wohnungsbaus,

- mit Mitteln aus öffentlichen Haushalten zur Modernisierung und Instandsetzung geförderte Wohnungen mit Mietpreisbindung,

- Wohnheime,

- Trägerwohnungen

- sowie alle ab Anfang 2014 erstmals bezugsfertigen Neubauten oder Wohnungen, die mit einem dem Neubau entsprechendem Aufwand aus dauerhaft unbewohnbarem Wohnraum wiederhergestellt wurden (bspw. in einer ehemaligen Bauruine).

Verstöße durch die Vermietenden gegen die Anforderungen des Berliner Mietengesetzes können als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld von bis zu 500.000 € geahndet werden.

Doch wie sieht die Praxis aus?

Mieterhöhungen nach Inkraftreten des MietenWoG Bln

Ein Beispiel:

Die Covivio Immobilien GmbH wandte sich mit Schreiben vom 24.08.2020 namens und in Vollmacht der Vermieterin, der Residenz Berolina GmbH & Co. KG, an ihre Mieter in der Lichtenberger Wönnichstraße und teilte diesen mit, dass sie beauftragt sei, eine Mieterhöhung zum 01.11.2020 vorzunehmen. Sodann erfolgte die Neuberechnung der Miete für die 76,61 m² große Wohnung von bisher 643,00 € um 96,45 € auf 739,45 €. Dies entspricht einer Nettokaltmiete von 9,65 €/m².

In dem Mieterhöhungsschreiben vom 24.08.2020 heißt es u.a. wie folgt:

Einverständniserklärung zur Mieterhöhung

"Wir bitten Sie uns Ihre gesetzlich erforderliche vorbehaltslose Zustimmung zur Mieterhöhung bis spätestens zum 31.10.2020 (Ablauf der Zustimmungsfrist) mittels Unterzeichnung und Rücksendung der beiliegenden Durchschrift im frankierten Umschlag zu erteilen.

Rechtliche Aufklärung insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Gesetzgebung in Berlin

Aufgrund des Gesetzes zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (MietenWoG Bln), siehe Anlage 1, können wir gemäß §§ 558 BGB die Zustimmung zur Erhöhung der Grundmiete verlangen. Wenngleich wir den Betrag während der Geltungsdauer des Gesetzes weder fordern noch entgegennehmen dürden.

Sofern das MietenWoG Bln ganz oder in Teilen für verfassungswidrig erklärt wird, werden wir entsprechend der dann gültigen Rechtslage rückwirkend die Zahlung der Mieterhöhung verlangen."

Das vorstehende Mieterhöhungsverlangen der Covivio Immobilien GmbH dient lediglich als Beispiel und steht stellvertretend für andere Mieterhöhungen. Inzwischen werden derartige Mieterhöhungen als "Schattenmieterhöhungen" betitelt.

Wie sollen Lichtenberger Mieterinnen und Mieter auf eine derartige Mieterhöhung reagieren?

Die Zivilkammer 66 des Landgerichts Berlin, die für Lichtenberg, Hohenschönhausen, Marzahn, Hellersdorf, Tempelhof, Kreuzberg und Friedrichshain zuständig ist, hält den Mietendeckel für verfassungsgemäß (LG Berlin – 66 S 95/20, Urteil vom 31.07.2020), so dass sich Mieter in Lichtenberg, Hohenschönhausen, Marzahn, Hellersdorf, Tempelhof, Kreuzberg und Friedrichshain auf den Mietendeckel ab dem 01.03.2020 berufen können.

Zur Begründung führt das Landgericht Berlin in seiner vorgenannten Entscheidung unter II. wie folgt aus:

„Nach Auffassung der Kammer trägt die Begründung des Amtsgerichts die Klageabweisung allerdings nur, soweit der Kläger die Zustimmung zur Mieterhöhung für die Zeit ab 1. März 2020 begehrt. Am 23.2.2020 ist das MietenWoG Bln in Kraft getreten. Die Kammer teilt die Einschätzung des Amtsgerichts, dass dieses Gesetz wirksam (insbesondere verfassungsgemäß) ist, und dass es als Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB anzuerkennen ist. Obwohl es sich bei § 3 Abs. 1 MietenWoG Bln um eine öffentlichrechtliche Regelung handelt, entfaltet diese über die im BGB bereits vorhandenen Vorschriften auch zivilrechtliche Wirkungen. Eine dieser Wirkungen besteht darin, dass i.S.d. § 134 BGB eine bereits vereinbarte überhöhte Miete „verboten“ ist, was die Vereinbarung insoweit nichtig macht. Liegt ein verbotenes Rechtsgeschäft (noch) nicht vor, sondern soll es nach Maßgabe der §§ 558 BGB, 894 ZPO durch eine Klage auf Zustimmung erst herbeigeführt werden, so richtet sich die Klage auf gesetzlich verbotene Inhalte und ist deshalb unbegründet.

Allerdings hat das Amtsgericht dies auch für die Zeit vor dem Inkrafttreten des MietenWoG Bln angenommen, denn nach seiner Auffassung wäre das gesamte streitgegenständliche Mieterhöhungsbegehren (schon allein deshalb) unbegründet, weil es sich auf einen nach dem Stichtag (§ 3 Abs. 1 MietenWoG Bln; 18.06.2019) gelegenen Zeitraum bezieht. Dies erscheint zweifelhaft.

Der in § 3 Abs. 1 Satz 1 MietenWoG Bln normierte Stichtag ist zwar als solcher anzuerkennen, er entfaltet aber nach Auffassung der Kammer Wirkungen erst seit dem Inkrafttreten des Gesetzes, also seit dem 23.2.2020. Danach (erst) legt das als Stichtag bezeichnete Datum materiell den Zeitpunkt fest, der für die betragsmäßige Bestimmung der zulässigen Höhe des Mietzinses maßgeblich ist. Zuvor – also außerhalb des formell geltenden Gesetzes – konnten die Absichten des Gesetzgebers keine rechtlichen Wirkungen entfalten. Zwar wollte der Landesgesetzgeber bereits seine Vorlage vom 17. Juni 2019 und die am Folgetag erfolgende Beschlussfassung über die Absicht der später erfolgten Gesetzgebung als Zäsur verstanden wissen; die dauerhafte Veränderung der bestehenden Verhältnisse entgegen den Absichten des geplanten Gesetzes sollte verhindert werden. Erst mit der Inkraftsetzung der Norm sorgte er aber dafür, dass eine „Miete“, die verglichen mit dem Stichtag materiell unzulässig hoch ist, rechtlich auch wirklich verboten ist.

Dies ergibt sich auch aus der späteren Begründung zum Änderungsantrag der Regierungsfraktionen vom 21.01.2020, wo es (a.a.O. S. 6) zu § 3 Abs. 1 MietenWoG Bln ausdrücklich heißt: „Die Vorschrift entfaltet (…) keine echte Rückwirkung. Sie regelt nicht das Verbot, bereits ab dem Stichtag eine höhere Miete (…) zu verlangen. Ein solches Verbot gilt, da im Gesetz nichts anderes bestimmt ist, erst ab Inkrafttreten des Gesetzes…“.

Nach Ansicht der Kammer spaltet also bei dem hier zu beurteilenden zeitlichen Ablauf das Inkrafttreten des MietenWoG Bln am 23.2.2020 den bereits auf den 01.09.2019 bezogenen Streitgegenstand in einen zeitlich vor dem 23.02.2020 und einen zeitlich danach liegenden Teil. Für letzteren sind die Vorschriften im MietenWoG Bln als gesetzliches Verbot anzuwenden, für den vor dem 23.2.2020 liegenden Zeitraum ist allein das bis dahin geltende Recht maßgeblich.“

Fazit:

Für Lichtenberger Mieterinnen und Mieter bestehen im Falle des Erhalts einer Mieterhöhung gute Chancen, sich auf den Mietendeckel berufen zu können und der Mieterhöhung nicht zustimmen zu müssen. Gleiches gilt für Mieter in Hohenschönhausen, Marzahn, Hellersdorf, Tempelhof, Kreuzberg und Friedrichshain.

Bei Erhalt einer Mieterhöhung sollte dennoch auf jeden Fall eine juristische Beratung in Anspruch genommen werden.

Exkurs:

Wie sieht es für Berliner Mieterinnen und Mieter in anderen Bezirken aus?

Leider existiert in der landgerichtlichen Rechtsprechung zum Mietendeckel und insbesondere zu Mieterhöhungen eine divergierende Rechtsprechung mit 3 Rechtsmeinungen, so dass für Mieterinnen und Mieter im Moment eine absolute Rechtsunsicherheit besteht.

Im Einzelnen:

1. Zivilkammer 65 - Mieterhöhungen sind erlaubt

Ausweislich der Rechtsprechung des Landgerichts Berlin (LG Berlin - 65 S 76/20, Urteil vom 15.07.2020) sind Mieterhöhungen zivilrechtlich erlaubt, so dass Mieter in Neukölln, Pankow und Weißensee sich bei einer Mieterhöhung nicht mehr auf den Berliner Mietendeckel berufen können. Mieterhöhungen sind erlaubt; verboten ist nur das Fordern und das Entgegennehmen der erhöhten Miete während der Geltungsdauer des Mietendeckels.

2. Zivilkammer 66 - Mietendeckel gilt ab 01.03.2020

Zur Wiederholung: Die Zivilkammer 66 des Landgerichts Berlin, die für Lichtenberg, Hohenschönhausen, Marzahn, Hellersdorf, Tempelhof, Kreuzberg und Friedrichshain zuständig ist, hält den Mietendeckel für verfassungsgemäß (LG Berlin – 66 S 95/20, Urteil vom 31.07.2020), so dass sich Mieter in Lichtenberg, Hohenschönhausen, Marzahn, Hellersdorf, Tempelhof, Kreuzberg und Friedrichshain auf den Mietendeckel ab dem 01.03.20920 berufen können.

3. Zivilkammer 67 - Mietendeckel ist verfassungswidrig

Die Zivilkammer 67 des Landgerichts Berlin, die für Mitte, Prenzlauer Berg, Tiergarten und Spandau zuständig ist, hält den Mietendeckel für verfassungswidrig (LG Berlin - 67 S 274/19, Beschluss vom 12.03.2020; LG Berlin – 67 S 109/20, Beschluss vom 06.08.2020), so dass sich Mieter in Mitte, Prenzlauer Berg, Tiergarten und Spandau in der "Mietendeckel-Warteschleife" befinden, und zwar so lange, bis das Bundesverfassungsgericht entschieden hat.

Autor:

Marcel Eupen aus Falkenhagener Feld

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