„Da läuft etwas gewaltig schief“
Linksfraktion thematisiert das Problem Kinderarmut in Lichtenberg
Auf 26 Seiten hat das Bezirksamt, in persona Jugend- und Familienstadträtin Katrin Framke (Die Linke), für die letzte Sitzung der Bezirksverordneten vor den Sommerferien eine Große Anfrage der Linksfraktion beantwortet. Das Thema: Kinderarmut in Lichtenberg.
Dass sie nicht mithalten können, wenn es um Markenklamotten, teure Handys, Hobbys oder Reisen geht, finden viele Heranwachsende schlimm genug. Tatsächlich wirkt sich Kinderarmut natürlich noch gravierender aus: Es fängt bei schlechter Ernährung mit Folgen für die spätere Gesundheit an, reicht über weniger Teilhabe an Freizeit- und Bildungsangeboten bis hin zur Tatsache, dass in Armut aufwachsende Kinder häufig ihr ganzes Leben in prekären Verhältnissen verbringen.
„Wenn 20 Prozent aller Kinder in Deutschland dauerhaft wiederkehrend in einer Notlage leben, dann läuft etwas gewaltig schief“, sagt Claudia Engelmann, fachpolitische Sprecherin für Jugend der Linksfraktion in der Lichtenberger Bezirksverordnetenversammlung (BVV). Die Fraktion hat in der Juni-Tagung der BVV eine große – also sehr ausführliche – Anfrage gestellt, um vom Bezirksamt detaillierte Zahlen und Einschätzungen zum Thema Kinderarmut in Lichtenberg zu erhalten. Das Ergebnis sei erschreckend, so Engelmann. „Verglichen mit dem Berliner Durchschnitt verzeichnen wir in unserem Bezirk doppelt so viele betroffene Kinder.“
Zahl der Betroffenen steigt
Auf den ersten Blick geht aus der Antwort des Bezirksamtes hervor, dass der prozentuale Anteil der von Armut betroffenen Kinder seit 2008 zurückgegangen ist, sowohl in Lichtenberg als auch in der ganzen Stadt. Als betroffen gelten Kinder, wenn sie in Familien leben, die Anspruch auf staatliche Unterstützung nach dem Sozialgesetzbuch haben. In Lichtenberg sank der Anteil dieser Kinder zwar von 40,1 Prozent im Jahr 2008 auf 30,5 Prozent 2016. Doch der positive Eindruck täuscht: Weil es aufgrund des anhaltenden Zuzugs generell immer mehr Heranwachsende in Lichtenberg gibt, steigt die Anzahl von Mädchen und Jungen, die hier in Armut leben, immer weiter. Der Anstieg ist in Lichtenberg im oben genannten Zeitraum doppelt so hoch wie im Berliner Schnitt. Für den Bezirk bedeutet das aktuell und konkret: rund 12000 betroffene Kinder.
Neben den zwei Hauptursachen für Kinderarmut – die schwierigen Einkommensverhältnisse der Eltern und der Familienstatus „Alleinerziehend“ – zeigt die Antwort des Bezirksamtes vor allem eines: Es gibt ein enormes Nord-Süd-Gefälle in Lichtenberg. Während es in Wartenberg und Falkenberg fast jedes zweite Kind trifft, sinken die Zahlen in Karlshorst und Rummelsburg, dort liegen sie weit unter dem bezirklichen Durchschnitt. Claudia Engelmann: „Die Ursachen müssen gefunden werden und gleichzeitig gilt es, einer Gentrifizierung innerhalb Lichtenbergs entgegenzuwirken.“
Gefälle zwischen Norden und Süden
Trotz einiger Verbesserungen, etwa in den Gebieten Frankfurter Allee Süd, Neu-Lichtenberg und Fennpfuhl bleibt die Zahl der Kinder, deren Familien Sozialleistungen beziehen, auf einem hohen Niveau. Die zwei Extreme: In Neu-Hohenschönhausen Nord sind es 45 Prozent, in der Rummelsburger Bucht etwa sechs Prozent. Auch der Anteil der in alleinerziehenden Haushalten mit Leistungsbezug aufwachsenden Kinder und Jugendlichen variiert von Bezirksregion zu Bezirksregion. Verringert hat er sich insgesamt nur leicht, von 54,81 Prozent im Jahr 2011 auf 53,68 Prozent 2017. Fast ein Drittel der Kinder Lichtenbergs ist von Familienarmut betroffen.
„Prekäre Arbeitsbedingungen, Hartz IV, gesetzlicher Mindestlohn – dies sind nur einige Faktoren, die Einfluss auf Kinderarmut nehmen oder gar Ursache sind“, kommentiert die Verordnete der Linksfraktion. „Aber parteipolitische Machtspiele haben bei diesem Thema nichts zu suchen. Kinderarmut ist ein Zukunftsrisiko, ein gesamtgesellschaftliches Problem, eine Hürde, eine Mauer – die nicht nur lokal fallen muss.“
Das Stichwort Mauer aufgreifend, haben die Lichtenberger Linken ihre große Anfrage in der BVV mit der Fotoaktion „Kinderarmut zerschlagen“ symbolisch begleitet. Die Vorsitzenden der Fraktion Norman Wolf und Kerstin Zimmer, die Jugendexpertinnen Claudia Engelmann und Ursula Beißig sowie Bürgermeister Michael Grunst und Familienstadträtin Katrin Framke haben gemeinsam eine Pappmauer mit der Aufschrift „Kinderarmut“ eingerissen. Anschließend ging es in die Max-Taut-Aula zur Sitzung, in der die Anfrage auf der Tagesordnung stand.
Was wird unternommen?
Die 26-Seiten-Antwort zeigt neben Zahlen und Fakten auch auf, was der Bezirk Lichtenberg in den vergangenen Jahren unternommen hat, um dem Problem zu begegnen: 14 Netzwerke zum Thema Kinder und Erziehung sind entstanden, Schul- und Kitaplätze wurden ausgebaut, Hilfsangebote für Alleinerziehende haben seit einigen Jahren Priorität. Teilhabeprojekte für den Nachwuchs sind eingeführt und Haushaltsposten erweitert worden. Genug scheint das alles angesichts der aktuellen Zahlen nicht zu sein.
Claudia Engelmann: „Wir alle sind aufgefordert, die Fakten ernst zu nehmen und daran etwas zu ändern. Es gilt, auf wirklich allen Ebenen das Bestmögliche zu tun und Handlungsspielräume auszuloten, um wirksame und nachhaltige bezirkliche Strategien zur Armutsbekämpfung einzufordern.“
Das Bezirksamt entwickelt derzeit eine Armutspräventionsstrategie für Lichtenberg, erste Inhalte liegen vor. Die Federführung obliegt Bürgermeister Michael Grunst (Die Linke). Näheres dazu und die komplette Antwort auf die große Anfrage der Linksfraktion finden Sie auf der Seite des Bezirksamtes unter https://bwurl.de/14ei.
Autor:Berit Müller aus Lichtenberg |
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