Fachärztin für kaputte Köpfe und lose Beine
In Renate Herrmanns Puppenklinik werden auch die schwierigsten Fälle behandelt
Dass hier eine Spezialklinik ihren Sitz hat, ist der gutbürgerlichen Siedlung nicht anzusehen. Doch hier hat eine Expertin schon viele geliebte Lebensgefährtinnen und -gefährten gerettet.
„Dr. pupp. R. Herrmann“ steht auf dem Schild an der Soldiner Straße 30. Und: „Fachärztin für schlackernde Glieder, lose Wimpern, gesprungene Köpfe, klemmende Augen, fehlende Gliedmaßen und zerbröselte Perücken.“ Nur noch wenige Puppendoktoren gibt es in Berlin, Renate Herrmann gehört zu den erfahrensten. Seit mehr als 40 Jahren übt sie ihr Handwerk aus.
Im Laufe der Zeit hat sie zahllose Ersatzteile zusammengetragen: Köpfe, Arme, Beine, Augen, Perücken, Schuhe, Söckchen und, und, und. Im Ausstellungsraum können Besucher alte und neuere Puppen bewundern, aus Porzellan, Zelluloid, Wachs, Plastik, von Schildkröt, Käthe Kruse oder Brigitte Deval. An Bügeln hängen Mini-Kleidungsstücke – vom Matrosenanzug bis zur prächtigen Robe. Hüte, Taschen, Schmuck und sogar Unterwäsche sind vorrätig. Selbst Raritäten wie eine Spieluhr mit einer sich bewegenden Puppe gehören zur Sammlung. „Diese Automaten wurden schon vor 1800 von Uhrmachern gebaut und waren bei Hofe sehr beliebt“, erklärt Renate Herrmann.
Die Wirklichkeit kommt oft weniger vornehm daher. Der Klassiker: Ein Kind schneidet seiner Puppe die Haare ab oder badet sie, sodass die beweglichen Augen nicht mehr funktionieren. Oder der Teddy – auch Stofftiere gehören zu den Patienten – wird gefüttert. Da heißt es dann, den Brei wieder zutage zu befördern. Bei einer derartigen Reparatur ist Umsicht nötig. „Allzu viel darf ich manchmal nicht machen, denn dann riecht die Puppe oder das Kuscheltier vielleicht anders“, so Herrmann. Da seien Kinder empfindlich. Sie bedauert es sehr, dass das fantasiefördernde und liebevolle Spiel mit Puppen nicht mehr so hoch im Kurs steht. Auch die Sammlerszene sei stark geschrumpft, früher habe es in Berlin große Puppenbörsen gegeben.
Der Rückgang machte sich in ihrer Klinik bemerkbar. Bis vor rund zehn Jahren hatte sie ein Geschäft in der Mariendorfer Prinzenstraße, doch es kamen immer weniger Kunden. Immerhin hat der Laden im Film überlebt. Richy Müller und Yvonne Catterfeld nutzten ihn als Kulisse für einen Krimi. Auch eine andere Fernsehproduktion griff auf Herrmanns Fundus zurück. Für die Familiensaga „Das Adlon“ lieh sich das Filmteam einen als Page ausstaffierten, über 100 Jahre alten Stoff-Schimpansen.
Zum Handwerk gekommen ist Renate Herrmann über ihre eigene Sammlung. „In der Nachkriegszeit hatte ich keine Puppen, da gab es wohl Nachholbedarf“, sagt sie. Ein Schlüsselerlebnis hatte sie bei einem Friseur, der eine Puppe reparierte und mit muschelrosa Lack überzog. Das passte gar nicht. Renate Herrmann beschloss, es besser zu machen. Als ausgebildete Schneiderin, die auch in der Kostümabteilung der Oper gearbeitet hatte, besaß sie bereits viele Fertigkeiten. In einem Kurs lernte sie, wie man Formen für die Puppenherstellung baut, um die Anatomie der Figuren genau kennenzulernen.
Heute ist sie eine echte Fachfrau, die lose Gliedmaßen mit neuem Rundgummi aufzieht, gesprungene Zelluloid-Teile dichtet und Teddytatzen neu bezieht. Und zu jedem Stück weiß sie etwas zu erzählen. Sie erkennt auf Anhieb, welche Augen starr wirken und welche lebendig. Die besten stammten aus dem thüringischen Lauscha, überhaupt sei Thüringen die Wiege des deutschen Puppenbaus, sagt sie. Dann zieht sie eine Schublade auf und holt zum Beweis mehrere Paare strahlende Puppenaugen heraus. Renate Herrmann restauriert und repariert nicht nur, sie kleidet Puppen ein, kauft und verkauft sie. Außerdem kann sie Typ, Alter und Wert der Lieblinge ihrer Kunden bestimmen, sie beraten und Puppen bestellen.
Wie sehr Menschen an ihren Gefährten hängen, hat sie selbst in ihrer Kindheit erlebt. In den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges brannte ihr Wohnhaus nahe der Oberbaumbrücke aus, ihr Teddy verschwand unter den Trümmern. „Ich habe seitdem immer nach einem solchen Teddy gesucht. Vor vier Jahren schaute er mir endlich in einer Trödelhalle entgegen“, erzählt sie und zeigt ihn, einen kleinen roten Samtbären.
Renate Herrmann liebt ihre Arbeit, und eine Nachfolgerin ist bereits gefunden. Ihre Tochter werde übernehmen, sagt sie. Jeder, der sie kenne, rede ihnen zu, bloß nicht aufzuhören. „Na, dann müsst ihr aber auch kommen“, ist Renate Herrmanns Antwort. Gelegenheit dazu hat man mittwochs von 10 bis 18 Uhr oder nach Vereinbarung unter ¿745 85 03.
Mehr Informationen unter www.puppenklinik-renate.de
Autor:Susanne Schilp aus Neukölln |
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