24 gackernde Therapeutinnen und ein Hahn
Der Tannenhof hilft suchtkranken Menschen und hat sich tierische Unterstützung angeschafft
Der Tannenhof an der Mozartstraße 32 ist ein Zuhause auf Zeit für Menschen, die von ihrer Suchterkrankung loskommen wollen. Seit ein paar Monaten leisten ihnen ungewöhnliche Therapeuten Gesellschaft: Hühner.
Rund 40 Erwachsene machen hier nach der Entgiftung ihre Reha, die bis zu einem halben Jahr dauert. Das Ungewöhnliche ist, dass sie ihre Kinder mitbringen können, die von ausgebildeten Fachleuten betreut werden. Platz ist für 16 Mädchen und Jungen. „Außer uns gibt es nur ganz wenige Einrichtungen, die das bieten“, sagt Boris Knoblich, Sprecher der gemeinnützigen Gesellschaft Tannenhof Berlin-Brandenburg.
Corinna Erben ist die Leiterin des Hauses. „Wir schauen, was die Suchtkranken an Werkzeug brauchen, um wieder selbstständig zu leben“, sagt sie. Angebote gibt es viele: Ergotherapie, Gespräche, Entspannungsübungen, medizinische Betreuung, Sport und Arbeitstraining im großen Garten, im Haus oder in der Küche.
Und nun auch im Hühnerstall. 24 Hennen und Hahn Freddy wollen versorgt sein und sich abends in einem sauberen Stall niederlassen. Fünf von ihnen haben eine harte Zeit in der Legebatterie hinter sich und wurden vom Verein „Rettet das Huhn“ dem Tannenhof überlassen. „Denen geht es jetzt gut, bei uns sind sie Haus- und keine Nutztiere“, erklärt Ergotherapeutin Heidrun Stieler. Eier legt das Federvieh trotzdem.
Ein bis zwei Stunden am Tag kümmern sich Rehabilitanden um die Hühner, einmal in der Woche dürfen die Kinder helfen. Die Erwachsenen übernehmen Verantwortung, üben sich in Zuverlässigkeit, erleben Zuneigung. Denn etliche aus der Hühnerschar sind inzwischen erstaunlich zutraulich, springen Heidrun Stieler auf den Schoss, wenn sie mit einem leckeren Salatherz oder Zwieback lockt, und lassen sich sogar streicheln. „Die Tiere sind ein Geschenk für die Großen und Kleinen“, sagt Corinna Erben. Selbst der Hausmeister liebe das Federvieh und habe im Sommer begeistert beim Stallbau mitgeholfen.
Stress sollen die Tiere auf keinen Fall haben, deshalb sind sie den Großteil des Tages sich selbst überlassen. Nachdem sie wegen der Vogelgrippe zum Jahreswechsel wochenlang im Stall ausharren mussten, können sie jetzt wieder im 300 Quadratmeter großen Auslauf scharren, picken oder es sich in einer Schaukel bequem machen.
Der Auslauf ist bestens gesichert – auch von oben. „Wir hatten früher schon einmal Hühner“, erzählt Heidrun Stieler. Die seien aber nach und nach dem Fuchs zum Opfer gefallen, der ebenfalls auf dem Gelände lebt. Er hatte es immer wieder geschafft, über den Zaun zu klettern. Dass Meister Reineke die Jagd noch nicht ganz aufgegeben hat, war beim jüngsten Winterwetter klar zu erkennen. Spuren im Schnee zeugten von seinem Interesse.
Das insgesamt zwei Hektar große Gelände des Tannenhofs war 1979 übrigens die Keimzelle der gleichnamigen gemeinnützigen Gesellschaft, die in Berlin und Brandenburg etliche Einrichtungen für Sucht- und Kinderhilfe betreibt. „Die Anlage ist aber schon über 100 Jahre alt und wurde immer für soziale Zwecke genutzt“, so Boris Knoblich. Er habe viele historische Fotos zusammengetragen. Die Gebäude seien unter anderem als Erziehungsanstalt für Jungen und als Mädchenheim genutzt worden.
Autor:Susanne Schilp aus Neukölln |
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