Stets im Einsatz für ihre Landsleute
Die ukrainische Aktivistin Oleksandra Bienert engagiert sich in Marzahn-Hellersdorf
Jeden Morgen checkt Oleksandra Bienert erst einmal die Nachrichten aus ihrer Heimat. Seit dem Angriff Russlands auf ihr Heimatland im Februar 2022 lebt die gebürtige Ukrainerin unter ständiger Anspannung, denn ihre Familie wohnt weiter in dem vom Krieg gebeutelten Land. „Meine Mutter schreibt mir nach jeder Nacht, in der es Explosionen und Flugalarm gab“, erzählt sie.
Mit ihrem Vater und dessen Familie steht sie ebenfalls regelmäßig über WhatsApp in Kontakt, einmal die Woche auch per Videoanruf. Genau wie ihr Halbbruder lebt auch ihr Vater im Westen der Ukraine, ihre Mutter in der Hauptstadt Kiew. Nach dem Ausbruch des Krieges konnte sie ihre Mutter überreden, zumindest für ein Jahr nach Berlin zu kommen. „Sie hat ihren Kater mitgenommen und bei einer Ex-Kollegin von mir in Köpenick gelebt“, erzählt sie. Inzwischen aber ist ihre Mutter wieder zurück in Kiew, denn sie konnte in Berlin keine Wohnung finden. Generell sei es für jüngere Menschen einfacher, hier Fuß zu fassen, sagt Oleksandra Bienert. Die Menschen in ihrer Heimat seien vom Krieg sehr gezeichnet, könnten monatelang nicht schlafen. „Das Nervenkostüm selbst der Stärksten ist sehr beschädigt.“
Wie belastend die Situation ist, hat sie selbst bei einem Besuch in der Heimat erfahren. Sie hielt sich gerade in einer Buchhandlung auf, als plötzlich der Flugalarm ertönte. Das sei ein „total krasses Gefühl“ gewesen. Sie habe Todesangst gehabt. Im August will sie dennoch wieder in die Ukraine fahren. Auf die Frage, wie der Krieg sie verändert hat, sagt sie: „Ich glaube, ich bin fokussierter geworden und strenger, was meine Zeit angeht.“
Oleksandra Bienert, Jahrgang 1983, ist in Czernowitz im Westen der Ukraine aufgewachsen. Sie studierte zunächst Informatik in Kiew, lernte während des Studiums Deutsch als Hobby. 2005 zog es sie nach Berlin, „weil es bunt ist und vielfältig“. Hier studierte sie Europäische Ethnologie und Public History. Aktuell schreibt sie ihre Doktorarbeit. Sie arbeitete bei Stiftungen und in Menschenrechtsorganisationen, war 2019 bis 2020 im Quartiersmanagement für interkulturelle Vermittlung bei „Kiek in ‑ Soziale Dienste gGmbH“ tätig und danach von 2021 bis 2022 als Stadtteilkoordinatorin Marzahn-Nordwest. Sie ist Mitbegründerin der „Euromaidan Wache Berlin“, die seit 2013 über die Proteste in der Ukraine informiert und seit 2014 über die russische Annexion der Krim aufklärt.
Im Moment engagiert sie sich im Bezirksbeirat für Partizipation und Integration Marzahn-Hellersdorf, wo es um Anliegen von Menschen mit Migrationsgeschichte im Bezirk geht. Außerdem organisiert sie zusammen mit einem Verein gerade Sommercamps für geflüchtete Kinder aus der Ukraine, die in Marzahn leben. Mit ihrem eigenen Verein „CineMova“ kümmert sie sich als Trainerin für politische Teilhabe um die Ausbildung anderer ukrainischer Aktivisten. Sich selbst bezeichnet sie als Aktivistin, aber auch Fotografin. Voraussichtlich noch bis Ende Juli ist im Nachbarschafts- und Familienzentrum „Kiek in“ in der Rosenbecker Straße 25-27 die Fotoausstellung „Der Himmel kann warten“ zu sehen. Dafür hat sie in Zusammenarbeit mit Marion Baumann 34 Senioren aus dem Stadtteil Marzahn-Nordwest porträtiert. Das Buch zur Ausstellung ist im Nachbarschaftsbüro in der Havemannstraße 17A erhältlich.
Durch ihre Arbeit und ihr Engagement ist Oleksandra Bienert in den vergangenen knapp anderthalb Jahren auch als Expertin sehr gefragt gewesen. Zahlreiche Medien haben sie interviewt. Einmal war sie sogar Studiogast in der ARD-Sendung „Hart aber fair“. Im Oktober vergangenen Jahres erhielt sie für ihr Engagement von der damaligen Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) den Verdienstorden des Landes Berlin überreicht. „Ich habe mich gefragt: warum ich? Andere machen so viel! Ich habe das als Auszeichnung für die Community aufgefasst“, sagt sie über die Ehrung im Roten Rathaus.
Für die Menschen aus ihrer Heimat hat Oleksandra Bienert weiter immer ein offenes Ohr, auch wenn sie selbst manchmal nicht direkt weiterhelfen kann. So wurde sie vor wenigen Wochen von einer ukrainischen Mutter angerufen, weil deren autistischer Sohn in der Schule gemobbt wird. Immer wieder bekomme sie solche schwierig zu lösenden privaten Anfragen. „Mein Ziel ist deshalb, hier in Berlin eine ukrainische Organisation aufzubauen.“
Autor:Philipp Hartmann aus Köpenick |
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