Ein Hundertjähriger erinnert sich
Wolfgang Schiel war Offizier in zwei Armeen und überlebte Stalingrad
Wolfgang Schiel kann seinen 100. Geburtstag feiern. Er ist Zeitzeuge der widersprüchlichen, teils tragischen deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts.
Ein markantes Datum für ihn ist die Schlacht von Stalingrad. Er gehörte der 6. Armee der Deutschen Wehrmacht an, die von der Roten Armee eingekesselt wurde. Im Februar 1943 geriet er schließlich in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Er ist einer der wenigen Menschen, die heute noch aus persönlichem Erleben erzählen können. „Ich hatte Glück. Ich war Kommandeur einer Nachrichtenkompanie. Wir hatten Telefonleitungen zwischen den einzelnen Stäben zu verlegen und mussten nicht direkt in die Kämpfe“, berichtet er.
Wolfgang Schiel ist noch außerordentlich agil. Er geht ohne Hilfe täglich von seinem Appartment im Betreuten Wohnen beim Kursana Domizil in Marzahn ins Haupthaus zum Essen. Wenn er spricht, hört man aus den Sätzen noch den ehemaligen Offizier heraus. Sie sind knapp und präzise. „Leider kann ich mich an einzelne Daten nicht mehr so gut erinnern“, gesteht er.
Schiel wurde am 11. Oktober 1919 in Städtchen Römerstadt im Sudetenland geboren, dem heutigen Rýmařov in Tschechien. Der Vater arbeitete als Färber in einer Fabrik. Das Arbeiterkind schaffte das Abitur. Als er 19 war, fiel das Sudetenland durch den Münchener Vertrag an das Deutsche Reich. Schiel wurde eingezogen und zum Nachrichtenoffizier ausgebildet.
Als Schiel in sowjetische Gefangenschaft geriet, war er Oberleutnant. Er gehörte zu den deutschen Offizieren, die durch ihre Erfahrungen im Krieg zu überzeugten Antifaschisten wurden und wurde Lehrer bei den Antifa-Schulen in sowjetischen Kriegsgefangenenlagern. „Als ich 1949 aus der Kriegsgefangenenschaft entlassen wurde, war für mich klar, dass ich in die DDR gehe“, sagt er.
Hier gehörte er zu den ehemaligen Wehrmachtsoffizieren, die am Aufbau der Nationalen Volksarmee mitwirkten. Er machte Karriere, verteidigte an der NVA-Militärakademie in Dresden eine Doktorarbeit in Militärwissenschaften und war zuletzt Oberst. „General hätte ich nicht werden können, weil ich ein ehemaliger Wehrmachtsoffizier war. Das hat man mir gesagt“, erzählt er. Dieses anhaltende Misstrauen auf Grund seiner persönlichen Lebensgeschichte habe ihn sehr beschäftigt.
Schiel wurde 1984 in die Reserve versetzt, also Rentner. Das Ende der DDR wenige Jahre später hat ihn nicht überrascht. „Mir war zu dem Zeitpunkt klar, dass es irgendwann so hatte kommen müssen“, bekennt er.
Als Rentner wandte sich Schiel intensiv wieder dem Malen und Zeichnen zu. Diese beiden Leidenschaften hatte er schon in Kindertagen. Als Vorlage dienten andere Bilder, unter anderem solche von Impressionisten des 19. Jahrhunderts wie Claude Monet. Diese stellte er beispielsweise in Arztpraxen, Kultureinrichtungen oder auch im Berliner Landesarbeitsgericht aus. Erst im Alter von 85 Jahren hörte er mit dem Malen auf.
Sein hohes Alter erklärt er mit seiner gesunden Lebensweise. „Ich habe nur einmal, mit zwölf Jahren, eine halbe Zigarette geraucht. Alkohol habe ich nur bei Besuchen in Moskau getrunken“, sagt er. Da sei das nicht zu umgehen gewesen.
Schiel ist 2014, im Alter von 95 Jahren, aus seinem langjährigen Heim in Kaulsdorf in das betreute Wohnen bei Kursana, Hirschfelder Weg 10, gezogen. Dort wird Bürgermeisterin Dagmar Pohle (Die Linke) am Freitag, 11. Oktober, persönlich zu seinem Jubiläum gratulieren.
Autor:Harald Ritter aus Marzahn |
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