Der Fall Lisa

Alexander Reiser (53) ist Geschäftsführer des Vereins der Spätaussiedler "Vision" mit Sitz in Marzahn. Der Verein bemüht sich um die Integration russischsprachiger Deutscher. Der Hellersdorfer lebt seit 1996 in Berlin, ist verheiratet und hat eine Tochter. | Foto: hari
  • Alexander Reiser (53) ist Geschäftsführer des Vereins der Spätaussiedler "Vision" mit Sitz in Marzahn. Der Verein bemüht sich um die Integration russischsprachiger Deutscher. Der Hellersdorfer lebt seit 1996 in Berlin, ist verheiratet und hat eine Tochter.
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Marzahn-Hellersdorf. Die 13-jährige Lisa aus Mahlsdorf verschwand am 11. Januar auf dem Weg zur Schule. Nach etwa 30 Stunden tauchte sie wieder auf und erzählte ihren Eltern, dass sie entführt und vergewaltigt worden sei.

Wenig später gerieten über Verwandte der Familie, die aus Russland stammt, Informationen über soziale Medien an die Öffentlichkeit, die sich schnell verbreiteten. Männer, die wie Araber oder Nordafrikaner aussahen, hätten Lisa entführt und vergewaltigt. Die Empörung unter den Russlanddeutschen im Bezirk war groß. Auf einer Kundgebung am 18. Januar in der Jan-Petersen-Straße wurde der Umgang der Polizei mit dem Fall heftig kritisiert.

Diese stellte inzwischen fest, dass es weder eine Vergewaltigung noch eine Entführung gegeben hat. Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt gegen zwei Männer wegen des sexuellen Missbrauchs einer Minderjährigen. Die beiden Männer sollen türkischer Herkunft und älter als 20 Jahre sein. Lisa habe die beiden Männer schon vor ihrem Verschwinden gekannt. Es habe Sexualkontakte mit Lisas Einverständnis gegeben. hari

Alexander Reiser über die Befindlichkeiten der Russlanddeutschen

Der Fall Lisa aus Mahlsdorf erregt seit Mitte Januar deutschlandweit Aufsehen. Neonazis und russische Staatspropaganda instrumentalisieren den Fall für ihre Zwecke. Harald Ritter sprach für die Berliner Woche mit einem Vertreter der Russlanddeutschen im Bezirk. Alexander Reiser ist Geschäftsführer des Vereins „Vision“.

Herr Reiser, im Fall Lisa scheint einiges falsch gelaufen zu sein. Wie haben Sie das erlebt?

Alexander Reiser: Auch wir haben, wie alle anderen, zunächst aus den sozialen Medien erfahren, dass da etwas vorgekommen ist. Ein junges Mädchen aus der Gemeinde der Russlanddeutschen sei verschwunden und nach einem Tag wieder aufgetaucht. Männer, die wie Araber oder Nordafrikaner aussahen, hätten sich an dem Kind vergangen. Es wurde im Internet auch deutlich, dass die Familie sich allein gelassen fühlte und nach Hilfe suchte.

Welche Art von Unterstützung erwarteten die Eltern und wobei?

Alexander Reiser: Die Familie fühlte sich von der Polizei nicht ordentlich behandelt. Ihr schien, dass die Beamten lediglich darauf aus waren, nachzuweisen, dass überhaupt kein Verbrechen vorlag. Die Eltern sahen sich unter Druck und befürchteten, dass man den Fall aus politischen Gründen unter den Tisch fallen lassen wollte.

Wie hat Ihr Verein der Familie helfen können?

Alexander Reiser: Wir empfahlen der Familie einen Anwalt zu nehmen. Das taten sie und jetzt wird nach und nach einiges klar.

Was ist Ihnen inzwischen klar geworden?

Alexander Reiser: Noch immer zu wenig. Fest scheint jedenfalls zu stehen, dass es sich um ein Sexualdelikt handelt. Das Mädchen ist 13. Wenn ein Erwachsener mit ihm Sexualkontakt hatte, ist von dem Missbrauch einer Minderjährigen zu sprechen. Da spielt die Nationalität oder ethnische Herkunft des Betreffenden keine Rolle. In diese Richtung ermittelt wohl inzwischen auch die Staatsanwaltschaft.

Warum glaubten so viele Menschen, gerade in Marzahn, sofort an die Geschichte von einer Vergewaltigung durch Flüchtlinge?

Alexander Reiser: Die Menschen sind angesichts der Vorfälle in Köln zu Silvester hellhörig und misstrauisch gegenüber dem Staat, auch gegenüber den Medien. Bei den Russlanddeutschen kommt hinzu, dass ihre Erlebnisse in Russland nach dem Zerfall der Sowjetunion eine anhaltende Verunsicherung gegenüber Behörden hinterlassen hat. In den 90er-Jahren griff in Russland die Korruption auch bei der Polizei um sich. Niemand glaubte mehr dem Staat.

Warum glauben die Russlanddeutschen russischen Medien mehr als deutschen Medien?

Alexander Reiser: Erstens trifft das gewiss nicht auf alle Russlanddeutschen zu. Zweitens gibt es dieses Misstrauen nicht nur bei den Russlanddeutschen. Bei vielen Menschen gibt es inzwischen den Eindruck, dass sie nicht objektiv informiert werden, wenn es um das Thema Asylbewerber geht.

Sind Russen oder Russlanddeutsche rassistischer oder fremdenfeindlicher als Deutsche?

Alexander Reiser: Der Meinung bin ich nicht. Unser Verein hat die Russen und Russlanddeutschen aufgerufen, sich nicht auf Provokation und Hetze einzulassen –auch im Interesse der Familie und des Mädchens. Alle sollten sich zurückhalten und die Klärung des Falles abwarten.

Autor:

Harald Ritter aus Marzahn

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