Mit den Sitzvolleyballern nach Tokio
Sportlehrer Michael Merten nimmt mit seinem Team an den Paralympics teil
In wenigen Wochen heißt es Koffer packen und ab nach Japan. Am 19. August steigt Michael Merten in den Flieger, um in Tokio an den Paralympics (24. August bis 5. September) teilzunehmen. Der 52-Jährige ist Bundestrainer der Sitzvolleyballer. Nebenbei unterrichtet er Sport an der Gretel-Bergmann-Gemeinschaftsschule in Marzahn. Seine Schüler und Kollegen werden von zu Hause aus mitfiebern.
Zwölf Spieler darf Michael Merten mitnehmen. Sie alle haben körperliche Behinderungen. Manche haben einen sogenannten Klumpfuß, eine Fußfehlstellung. Einigen wurde ein Oberschenkel aufgrund einer schweren Erkrankung oder eines Unfalls amputiert oder sie kamen bereits mit nur einem Bein zur Welt. Und ein Spieler wurde angeschossen, weil er zur falschen Zeit am falschen Ort war. Dass sie es nicht immer leicht im Leben haben, hält sie jedoch nicht von sportlichen Höchstleistungen ab. Anfang Juni qualifizierte sich das Team mit einem Sieg gegen Kasachstan für die Paralympics.
Auch für Michael Merten ist die Teilnahme an den Spielen einer der größten Erfolge in seiner Trainerkarriere. Bei dem Turnier in Tokio treffen sie auf sieben Konkurrenten aus Europa, Asien, Südamerika und Afrika. Gegen den amtierenden Paralympics-Champion und Weltmeister Iran geht es bereits in der Gruppenphase. Eingeschüchtert ist der Coach davon aber nicht. Vielmehr will er mit seiner Truppe selbst erfolgreich sein und rechnet sich auch gute Chancen aus. „Wir wollen ganz oben mitspielen“, sagt er. Eine Medaille zu gewinnen, wäre toll, doch ein konkretes Ziel möchte er nicht ausgeben. Die Kritik daran, Olympische und Paralympische Spiele mitten in einer Pandemie durchzuziehen, könne er verstehen. Doch die Vorfreude sei ungebrochen. Alle hätten sich gut vorbereitet, seien außerdem längst doppelt geimpft und müssten vor Ort eine dreitägige Pflichtquarantäne einhalten.
Trainer in fünf verschiedenen Ländern
Als Trainer ist Michael Merten schon viel in der Welt herumgekommen. Volleyball entdeckte er durch seine besten Freunde noch in der Schulzeit für sich. Als 16-Jähriger hatte er bereits seinen ersten Trainerschein und durfte Kinder trainieren. „Der Sport ist sehr komplex und attraktiv.“ Besonders die Geschwindigkeit habe ihn schon immer fasziniert. Ursprünglich kommt er aus Planegg bei München. In der bayerischen Landeshauptstadt machte er sein Sport-Diplom. Mit Mitte 20 zog er von dort los. Nachdem er in Köln den Abschluss zum Diplom-Sportlehrer in der Tasche hatte, nahm seine Trainerlaufbahn Fahrt auf. Bis heute arbeitete er für insgesamt 14 Erst- und Zweitligavereine in fünf verschiedenen Ländern, leitete Männer- und Frauenteams an. Fünf Jahre lang trainierte er beispielsweise die Nationalmannschaft Liechtensteins. 2011 wurde er Meister in Rumänien und qualifizierte sich mit seinem Verein Remat Zalău sogar für die Champions League. Das sei bis heute sein größter Erfolg, wie er erklärt.
Weitere Karrierestationen verbrachte Merten in den Jahren darauf unter anderem als Co-Trainer des österreichischen Nationalteams und Chefcoach bei zwei griechischen Erstligisten. Das ständige Umziehen, immer wieder allein zu sein, fremde Länder und fremde Sprachen zu erleben, alles das habe ihm nie etwas ausgemacht. „Ich lebe in dieser Branche quasi in einer Parallelwelt“, so Merten. Anpassungsprobleme kenne er nicht. Zudem sei das Reisen neben dem Volleyball schon immer sein großes Hobby gewesen. Mehr als 60 Länder hat er inzwischen kennengelernt. „Vor 300 Jahren wäre ich wahrscheinlich Seemann geworden“, scherzt er. Dass viele Menschen Heimweh haben, versteht er nicht. „Ich habe Fernweh.“
12 Stunden pro Woche Sportlehrer
Vor vier Jahren nahm Mertens Lebensweg eine neue Wendung. „Seit 2017 ist mein Leben ganz anders“, sagt er selbst. Damals lernte er seine heutige Verlobte beim Beachvolleyball auf der griechischen Insel Kreta kennen. Sie lebte zu diesem Zeitpunkt in Frankfurt am Main, kommt aber ursprünglich, ein kurioser Zufall, aus Marzahn. Weil Michael Merten bei seinem griechischen Klub damals nicht mehr bezahlt wurde, war er außerdem auf der Suche nach einer neuen Herausforderung. Sein ehemaliger Trainerausbilder vermittelte ihm dann den Job als Sitzvolleyball-Nationaltrainer. Das Spielfeld ist dort deutlich kleiner, das Netz hängt tiefer, die Spieler dürfen sich nur rutschend fortbewegen und der Rumpf muss zum Zeitpunkt einer Aktion immer Bodenkontakt haben. Als Trainer habe er noch mal ganz neu denken müssen, doch 95 Prozent der Regeln seien genauso wie beim Volleyball.
In seiner neuen Heimat Berlin wollte Michael Merten nebenher auch wieder als Sportlehrer arbeiten und meldete sich dafür auf einer Online-Plattform des Senats an. Zusagen bekam er so viele, dass er frei wählen konnte. Seine Wahl fiel auf die Gretel-Bergmann-Gemeinschaftsschule, wo er seit Ostern 2017 unterrichtet. Etwa zwölf Stunden pro Woche ist er dort tätig. „Es passt sehr gut hier. Ich fühle mich wohl. Es gibt einen guten Austausch.“ Nur eines sei klar: Sitzvolleyballer zu trainieren sei wesentlich leichter, als Kinder und Jugendliche im Sportunterricht unter Kontrolle zu halten.
Autor:Philipp Hartmann aus Köpenick |
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