Artist Homes: Experimentelle Kunst aus dem Bunker
Nein, an Schicksal hat Jong-Ha Kim, 37 Jahre, nie geglaubt. Seit zwei Jahren ist seine rationale Haltung ein wenig ins Wanken geraten. Dass er mit seinem Künstlerprojekt „Artist Homes“ in einem ehemaligen Bunker der Wehrmacht untergekommen ist, passt für ihn nämlich fast zu perfekt, um wahr zu sein.
Dank eines Tipps des Lesers der Berliner Woche und Jazz-Fans Klaus Scholz erhält der Kiez-Kompass eine spannende Geschichte. Hinten auf dem Parkplatz des Grundstückes am Hohenzollerndamm 120 steht ein unscheinbarer, verglaster Würfel – sozusagen als Solitär. Flüchtigen Beobachtern kündet ein Schaukasten vorne an der Straße leise von „Artist Homes“, einem Veranstaltungsort für Künstler aller Sparten. Wer genauer hinschaut, sieht etwas Ungewöhnliches: Ein gewaltiger Betonklotz in Form einer Käseecke steht neben dem Glaskasten im Vorgarten.
Jong-Ha Kim fährt auf den Parkplatz. Der Südkoreaner grüßt freundlich und sperrt den Solitär auf. Es geht eine Treppe hinunter. Dabei fällt der Blick auf die ebenerdige Decke des Kellers. Um diesen Eingang so groß und breit herzustellen, musste ein Winkel aus 1,50 Meter dickem, von Stahlträgern durchzogenem Beton herausgesägt werden. Die Käseecke! Als Belege für diesen enormen Arbeitsaufwand dienen die kreisförmigen Riefen, die riesige Sägeblätter hinterlassen haben. „Das war hier gar kein Eingang“, sagt Kim, grinst und fängt an zu erzählen.
Investor mit Leidenschaft für Geschichte
Vor fünf Jahren hat ein Privatinvestor das große Mehrparteienhaus neben dem Parkplatz, damals noch eine Wiese, gekauft. Die Überraschung war groß, als er im Zuge der Renovierung einen ehemaligen Kommunikationsbunker der Nazis aus dem Jahr 1935 entdeckte. „Der Besitzer hat eine Leidenschaft für Geschichte und besondere Orte. Er ließ den Bunker renovieren. Das hat drei Jahre gedauert, hier war natürlich alles kaputt. An der Stelle des Eingangs war ursprünglich nur ein kleiner Raum“, sagt Kim.
Als die Sanierung abgeschlossen war, bot der Besitzer diese außergewöhnliche Location im Internet zur Miete an. Kims Frau entdeckte die Anzeige, eine Minute nachdem sie online gestellt war. „Wir haben angerufen, uns getroffen und am selben Tag entschieden, den Bunker zu pachten“, sagt der studierte Philosoph und Musiker. Das war vor zwei Jahren.
Die Treppe mündet in eine großzügige, offene Lobby mit Bar, einer kleinen Rezeption und gemütlichem Sitzbereich. Kim übernimmt die Führung rechtsherum durch einen Gang. Oben an der Wand verläuft ein gutes Dutzend sauber verlegter Kabel. „Wir haben nicht nur renoviert, sondern auch restauriert“, sagt Kim. Überall gibt es Zeugnisse davon. In einem der vielen Räume wurden Fotos von Soldaten auf eine Wand gemalt. Die Einrichtung umfasst zum Teil das ursprüngliche Mobiliar. Wieder muss eine schwere Tür entriegelt werden. Auf einem Tisch steht die Installation eines Künstlers, dahinter ist eine Luke im Boden. „Ich denke, hier hätten sich die Soldaten im Ernstfall verstecken können“, sagt Kim. Auf dem Weg an rudimentär belassenen Wänden – jede Menge Fläche für Galerien – vorbei macht der „Artist Homes“-Chef an einer Tür halt. Er macht sie auf, und der Blick auf ein normales, modernes Treppenhaus wird frei. „Der Geheimgang. Die Soldaten kamen als Postbeamte gekleidet in das Gebäude der Post oben, schlüpften dort am Pförtner vorbei in den Bunker und dann in ihre Uniform. Nach dem Dienst in der Telefonzentrale verließen sie auf die gleiche Weise das Haus.“ Weiter. Einem weiteren, hellen Gang schließen sich ein sehr schöner Konzertsaal mit wenigstens 100 Plätzen und eine Art Aula an. Per Vorhang kann das Treiben auf der Bühne auf den Saal begrenzt oder auf die Aula ausgeweitet werden. „Wir sind hier sehr flexibel“, freut sich Kim.
Kunst soll Laufen lernen
Der ewig streng geheime Standort mit all seiner Mystik schreit förmlich nach einem außergewöhnlichen Konzept. Kim hat es parat. Die Räumlichkeiten können etwa für Filmevents, Meetings, als Übungsräume oder für Meisterkurse gemietet werden. „Das ist unser kurzfristiges Finanzierungsmodell für unsere zweite Säule: die interdisziplinären Forschung“, sagt Kim. Es gebe Kombinationen wie Ballett und Hiphop oder Klassik und Jazz. Aber diese Geschichten würden sich nicht weiter entwickeln. Warum also nicht Architektur mit Klassik verknüpfen, Philosophie mit Jazz oder Physik mit Ballett? Mithilfe der Forschungsarbeit soll die Kunst das Laufen lernen – die dritte und letzte Säule von „Artist Homes“. „Musik und Kultur existieren bislang nur mit Hilfe von Sponsoren. Mein Traum ist, dass sie eine eigene Kraft entfalten und nicht mehr abhängig sind.“
Schon jetzt ist erlaubt, was gefällt: Im vergangenen Oktober kombinierten Künstler nicht nur Musik und Tanz, sondern zogen dabei durch das gesamte Gewölbe. „Wir wollen grundsätzlich breiter denken, keine Grenzen setzen“, sagt Kim. Schwer sei der Weg schon, „manchmal können wir es nicht glauben, dass wir es schon zwei Jahre geschafft haben. Aber meine Frau und ich sind richtig glücklich.“ Die Fangemeinde für die Kunst aus dem Bunker wächst zusehends. Das ist der Grund, warum Jong-Ha Kim gerne in der ersten Person Plural spricht und nicht in der Ich-Form. Denn eigentlich schmeißt er den Laden alleine, ob als Putzfrau, Barkeeper oder Veranstalter. „Es gibt wirklich viel Unterstützung."
Zum sensationellen Fund des Bunkers, der zu Zeiten des Kalten Krieges noch einmal als Luftschutzbunker hätte dienen sollen, es aber nie tat, dessen Existenz ab Mitte der 80er-Jahre nicht mehr dokumentiert ist und der auf Anfrage oder zu den Öffnungszeiten kostenfrei besichtigt werden kann, hat der sympathische Betreiber noch eine treffende Anekdote am Start. „Eine sehr betagte, vor dem Krieg geborene Frau konnte es nicht fassen, was sie hier bei uns gesehen hat. Sie ist zwei Häuser weiter geboren und aufgewachsen und hat bis zu diesem Zeitpunkt nie etwas von dem Bunker mitbekommen.“
Autor:Matthias Vogel aus Charlottenburg |
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