Vom Umbruch: Jenny Schon schildert Wendejahre
Als sich über Nacht die Welt veränderte, hing Jenny Schon in tiefen Träumen. Die Vorbereitungen für einen Lehrauftrag an der FU über chinesische Philosophie müssen sie wohl geschlaucht haben. "Danach bin ich fix und fertig ins Bett gefallen." Die Schicksalsstunde der deutschen Geschichte - Jenny Schon hat sie verschlafen.
Am nächsten Morgen eilte sie zum Auto, in der Gewissheit binnen weniger Minuten vom Kudamm zur FU zu düsen. "Aber ich kam einfach nicht durch vor lauter Trabis." Am Institut ließen Kollegen schon die Sektgläser klingen. Und da dämmerte die Erkenntnis heran. Die Mauer war überwunden, durch den Willen derer im Osten.
Nun, da die Autorin mit rheinländischen Wurzeln ein viertel Jahrhundert später wieder am Kudamm steht, ist das Versäumnis jener Nacht aufgewogen durch ein neues Buch im Zeichen der Wende. "Finger zeig" bezieht sich ganz ausdrücklich und sehr vielschichtig auf die Geschehnisse vor und nach dem 9. November vor 25 Jahren. Nur spricht Schon nicht vom Mauerfall, sondern von der Öffnung. Kaum zu leugnen bleibt für sie ein weiterhin wirksames Hindernis: die Barriere in den Köpfen.
"Bei meinen Stadtführungen kommen leider nur wenige Leute aus dem Osten", bedauert Schon. Und wenn doch welche teilnehmen, halten sie mit missmutigen Bemerkungen nicht hinterm Berg, freuen sich allenfalls über Reisefreiheit für ihre Kinder. "Aber auch der Westen", betont Schon "der ist ja nicht mehr alte."
Eben dieser Wandel liefert der Schmargendorferin in ihrem neuen Werk ein grundlegendes Thema. Zentrum der Betrachtung bleibt der Kudamm, als "Kulturdamm" ein Lebensmittelpunkt der früheren Buchhändlerin. Ein höchst geselliger Ort, der die Menschen ihre Eingeschlossenheit weniger fühlen ließ als manch andere Teile West-Berlins. "Man konnte hier vergessen, dass es den Osten gab", schildert Schon die Atmosphäre.
Mal prosaisch, dann wieder poetisch widmet sie sich den Jahren vor und nach 1989. "Eine kleine Weltreise in die Dörfer" zum Beispiel liefert den liebevollen Rückblick auf den Umzug aus Köln. Da musste man der Familie erst klarmachen, dass Wilmersdorf Innenstadt bedeutet - und nicht Leben auf dem Lande. Ein Tagesausflug an die Oder mit dem Liebsten gelang mit kleinen Tricks. Sie hätten ja dort einen Verwandten - so bezeichnete das Paar Theodor Fontane. Und da sie die Reiselust öfters in den Osten verschlug, fand Schon schließlich auch Wege, die Kontrollen zu beschleunigen. Der Schlüssel war das Knoblauchbrot. Da verzog auch der hartgesottenste Grenzer sein Gesicht und winkte die Dame aus dem Westen einfach durch.
Autor:Thomas Schubert aus Charlottenburg |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.