Bürger drohen mit Denkzettel bei nächster Wahl
"Reise nach Jerusalem" - es gibt keinen, der dieses Kinderspiel nicht kennt. Dass sich dieses Spiel jetzt in einer sehr ernsten Form ereignet und nicht genügend Stühle für alle da sein werden, daran glaubt Elternvertreter Mark Schmiechen. Als die Ausschüsse für Schule und Kultur gemeinsam vor Ort in der Carl-Orff-Schule tagten, war er es, der die Situation griffig umriss und damit von Dutzenden Familien Beifall erntete. "Da wurde mit heißer Nadel eine Lösung gestrickt, die für niemanden gut ist", beschrieb Schmiechen den Plan des Bezirksamts, wonach ein Hortgebäude für 70 Schüler in den Sommerferien zu räumen ist, um Platz zu schaffen für einen Teil der Musikschule, die ihrerseits das ideale Domizil im Rathaus Schmargendorf verlassen muss. Denn im Zuge der Aufgabe des Rathauses Wilmersdorf soll das Vermessungsamt dort unterkommen - aus Mangel an anderen Optionen, wie Immobilienstadträtin Dagmar König (CDU) erklärt.
Doch ein Rundgang im Schulgebäude zeigte den Politikern in aller Deutlichkeit, dass zwischen den Berechnungen auf dem Papier und der tatsächlichen Situation ein Unterschied besteht. Jeder der Klassenräume, den Leiterin Ursula Riechers ihnen vorführte, bot das gleiche Bild: von der Tafel bis zur Rückwand zugestellt mit Tischen und Stühlen. Augenscheinlich kaum Platz für die Übersiedlung der 70 Hortkinder aus dem Nebengebäude. "In einem verwinkelten Altbau wie diesem werden Berechnungen nach Quadratmetern schnell hinfällig", erklärte Riechers diesen Anblick, den es nach den Kalkulationen des Bezirksamts, die einen Platzüberschuss nahe legen, nicht geben dürfte.
Eine Entscheidung der Ausschussmitglieder blieb nach dieser Bestandsaufnahme aus - es müsse erst interne Beratungen geben, hieß es aus den Fraktionen. Nur Piraten und Linke legten sich fest, dass der Wilmersdorfer Rathausleerzug nicht zu Beeinträchtigungen bei Bildung und Kultur führen darf.
Handfeste Argumente und Wut über einen zu bürokratischen Beschluss: An der Carl-Orff-Grundschule sammeln Bürger Unterschriften und sprechen Drohungen aus. Ein neuer Hoffnungsschimmer, wie das Umzugsdilemma lösbar wäre, verlosch rasch.Dass Grundschulwissen in Mathematik genügt, um die Ungereimtheiten des Umzugsplans zu belegen, das bewies eine der jüngsten Rednerinnen des Ortstermins. "Die Musikschule verliert 500 Quadratmeter und bekommt durch unseren Hort 160. Das bringt doch nichts", erklärte die zehnjährige Katharina dem Plenum.
Tatsächlich soll die Verwaltung der Musikschule laut Bezirksamt im Rathaus Schmargendorf verbleiben, während die zwei anderen Etagen, die eigentlich zum Musizieren da sind, ausgelagert werden - in das von Katharina gemeinte Hortgebäude und die Räumlichkeiten einer anderen Schule. Für Leiter Arthur Hipp ein Unding. "Wir fühlen uns wie Erfüllungsgehilfen", zeigte er sich über mangelnde Wertschätzung enttäuscht. Die Musikschulräume im historischen Rathausbau unterzogen die Ausschussmitglieder ebenfalls einer Prüfung. Und erfuhren, dass die Lage auch hier komplizierter ist, als es auf den Papier schien. So verfügt jeder der 19 Räume über ein Klavier. Und das kann nicht jedes beliebige freie Zimmer in Schmargendorf beherbergen. Organisatorisch sei die Zerschlagung des "musikalischen Organismus" ohnehin eine Zumutung, hieß es von Seiten der Musiker. Zudem wären teure Maßnahmen zur Schallisolierung vor zehn Jahren umsonst gewesen. Diese verschwendeten Kosten seien in der Rechnung des Bezirksamts nicht enthalten.
Ursula Riechers von der Carl-Orff-Schule bemüht ein ähnliches Argument. Denn die Herrichtung des strittigen Gebäudes für den Hortbetrieb habe 70 000 Euro verschlugen.
Angesichts dieser Tatsachen fanden sich auch jenseits der betroffenen Einrichtungen etliche Unterstützer, die eine Petition für den Erhalt des jetzigen Zustands mit 900 Unterschriften bescherten. Das Zeichen an die Politik: Sollte man an dem Beschluss festhalten, droht eine Abstrafung bei der nächsten Wahl.
Dies nahm auch der Abgeordnete Michael Garmer (CDU) zur Kenntnis, der aber nicht nur zum Zuhören erschienen war. Er schlug vor, die Zentralisierung der Bezirksbibliotheken nochmals zu prüfen, um in den jetzigen Räumen der Heinrich-Schulz-Bücherei im Rathaus Charlottenburg den Platz freizumachen, der für den Umzugsplan ursprünglich fest vorgesehen war und nun schmerzlich fehlt.
Stadträtin König muss aber zu ihrem Bedauern diese Option verwerfen. "Das Thema ist tot", verweist sie auf einen ablehnenden Beschluss der BVV. Auch könne man Büchereien kaum auslagern, da alle in Frage kommenden Gebäude die Last der Regale nicht tragen könnten.
Es ist nur eine von mehreren Unwägbarkeiten, die den Rathausleerzug am Fehrbelliner Platz unter erheblichen Zeitdruck stellen. Zudem deutet sich an, dass die Räumung teurer ausfallen wird als erwartet. An den Gesichtern der Verantwortlichen war es deutlich abzulesen: Die Begehung der Carl-Orff-Schule, dem letzten Glied der Umzugskette, war eine echte Krisensitzung. Und nicht die letzte.
Autor:Thomas Schubert aus Charlottenburg |
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